Und Mensch schafft Gott nach seinem Bilde.
Autor: Volker Homann
Denkzettel 7
Ein Sinn des Lebens: Dem eigenen Leben selbst Sinn (Zweck, Nutzen, Gewicht, …: Bedeutung) geben.
Denkzettel 6
„Nicht wissen können“ — für manche Theologen eine Entschuldigung für alles, für manche Philosophen eine Aufforderung.
Denkzettel 5
(Erwartungen an die Künstliche Intelligenz)
KI mit Flügeln? Engel! … ???
Denkzettel 4
Vergebung ist auch immer Selbstgebung.
Denkzettel 3
Indigenialität
Ein paar Gedanken zu etwas zutiefst Menschlichem.
Als Rezension zu u.g. Buch des Dr. phil. und als Schriftsteller und Journalist sowie als Hochschuldozent tätigen Autors Andreas Weber kann dieser Beitrag wohl nicht angesehen werden. Vielmehr ist er ein Protokoll eines Gedankenganges, zu dem die Lektüre des Textes angeregt hat.
Den Inhalt des Buches möchte ich gerne mit „Was Sie schon immer über Weisheit wissen wollten, aber nie zu fragen wagten.“ illustrierend zusammenfassen. Das Buch kam mir manchmal etwas arg panpsychistisch, irgendwie weltfremd, irgendwie esoterisch, vielleicht für manche auch schlichtweg kindisch, daher. Und so hatte ich mich in diesen Momenten zu erinnern, dass es der Mensch ist, der den Dingen Psyche, Seele, Subjektivität, also Innerlichkeit, zu geben vermag und diese selbst sie nicht haben müssen. Daran ist nichts falsch, genauso wenig wie daran etwas nur richtig ist. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines solchen Denkens, einer solchen Weltanschauung, einer solchen Haltung, ist zu stellen.
Die Antwort auf eine solche Frage ist eine ökologische und keine ökonomische und gipfelt schließlich in der alten philosophischen Frage nach dem Glück des Menschen als Individuum genauso wie die nach dem Glück der Menschen als Spezies. Das, manch’ Glauben nun folgend, davon abhängt mit welchem Glück er über die Natur obwaltet, die ihm zu beherrschen aufgegeben wurde, die er sich zum Untertan machen solle – in den Worten des Autors könnte gesagt werden: Die zu kolonialisieren Mensch von höherer Macht beauftragt wurde. Bzw. er sich dazu berufen fühlt, sich selbst (als) höhere Macht gebend. Diese Perspektive kann ökonomisch genannt werden, die des Gegeneinanders, der Konkurrenz um Güter, der Angst vor Mangel und Tod. Die Ökologische ist die der Gegenseitigkeit, der »Gemeingüterwirtschaft«, der Freude am Genügen und am Leben.
Der Gedanke der Gegenseitigkeit des Menschen mit einer belebten Natur – wozu auch Steine zu zählen sind – durchzieht den ganzen Text. Stets machte er mich darauf aufmerksam, Natur und Kultur nicht in einer Gegnerschaft, sondern in einer Allmende, einer Versorgung auf Gegenseitigkeit basierend, zu verstehen. Kultur gehört zur menschlichen Natur, der Mensch gehört zur Natur, mithin ist Anthropo-Kultur als Natur aufzufassen. Ein für mich äußerst sympathischer Gedanke.
Der mich zum Sinnieren brachte. Inwieweit ist ein solches Gegenseitigkeitsprinzip in der Politik, namentlich dessen, was im Allgemeinen mit Demokratie bezeichnet wird, anwendbar? Verstehen wir Position und Opposition nicht mehr als eine Gegnerschaft, deren Sinn darin besteht, den anderen, die Position, zu besiegen, also mit einer generellen Kolonialisierungsidee. Sondern in einer Gegenseitigkeit, deren Sinn darin besteht, den anderen, die Position, aufzuklären. Wie sähe dann das Wechselspiel der Mächte in einer Demokratie aus?
Zunächst einmal ist der Preis der Macht, des Regierens, der Position, die der Aufklärung durch die Opposition, die achtungsvoll hinzunehmen ist. Opposition erhellt das Treiben der Regierenden und stellt somit für die Wählerschaft die Frage: „Wollt ihr das?“ Vornehmlich diese Aufgabe sollte in einer allmendierenden Demokratie die der Opposition sein. Konrad Adenauer formulierte es so:
Ich halte eine gute Opposition in einem Parlament für eine absolute Notwendigkeit; ohne eine wirklich gute Opposition entsteht Stickluft und Unfruchtbarkeit.
Willy Brandt fasste es noch kürzer:
Mehr Demokratie wagen.
Freilich gehört zu einer fruchtbaren Opposition – »Fruchtbarkeit« ist im Übrigen auch im Buch ein Wort, das mir aufgefallen ist – nicht nur zu meckern, sondern eine Alternative für dieses positionelle Tun aufzuzeigen. Und dafür zu werben, diesen anderen Weg doch zu gehen mit dem Regierungsauftrag an die aktuelle Opposition durch die Wählerschaft bei der nächsten Wahl.
Womit die Seiten gewechselt werden und nun jene, die es anders machen wollen, im Licht der Aufklärung durch die neue Opposition stehen, die vormals die Position vertraten. Oppositionsarbeit ist so nicht Mist, sondern ein Garant für die Güte des Regierens. So entsteht eine Gegenseitigkeit. Um nicht zu sagen: eine Fürsorge.
Nun sind hier Worte gefallen, »Alternative«, »diesen anderen Weg«, die die Herzen mancher Gesell*n, vornehmlich am mehr oder weniger populistischen rechten Rand, womöglich höher schlagen lassen. Die Natürlichkeit ihres Tuns nämlich als hinreichend begründet anzusehen und nun zu sagen: „Ja! Genau das machen wir ja! Das ist gesunder Menschenverstand, das ist vernünftig!“
Mitnichten.
Opposition bedeutet stets, einem wirklich anderem Konzept zu folgen, das sich aus einer anderen Haltung ergibt und so überhaupt erst einmal in die Lage versetzt zu werden, Aufklärungsarbeit zu leisten. Um es räumlich zu formulieren: Regiert eine ‚rechte‘ Weltauffassung, ist ‚rechts‘ Position, ist eine noch ‚rechtere‘ keine Opposition dazu. Eine ‚linke‘ Haltung ist dazu in Opposition zu setzen, nichts anderes, will das Wort „Opposition“ der Bedeutung, die ich ihm hier geben möchte, gerecht werden.
Versuchen wir es mit Farben, in einem gewissen Sinne das Komplementärprinzip der Gegenseitigkeit aufzeigend: Noch schwärzer, bis ins Braun fallend (was nun freilich nur etwas verdeutlichen soll), ist keine Gegenseitigkeit, sondern Einseitigkeit. Die Opposition zu schwarz, das Komplementär eben, ist weiß, in diesem Gedankengang. Und freilich gilt auch hier: Bei einer weißen Position ist das noch weißere keine Opposition, sondern eher Blendung. Wie das noch schwärzere als Verdunkelung angesehen werden kann. Beides trübt die Klarheit ein.
Der Grundgedanke einer allmendierenden Demokratie ist nicht Macht, sondern Verantwortung. Verantwortung auch dafür, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit aufrecht erhalten wird.
Eine Aufweichung dieses Prinzips, indem schwarz und weiß sich zu einem grau vereinigen, verdunkelt das Regierungsgeschehen. Die Kraft, die nun noch oppositionell wirken kann und sogar muss, will das Prinzip gerettet werden, ist die Öffentlichkeit. Die Medien, die Bürger selbst, gar. So werden jedoch die Medien und die Bürger in das Machtspiel hineingezogen und letztlich zum Gegner der Regierung, den es zu besiegen gilt. Die Medien verlieren so ihren Status, über das Geschehen in einer allmendierenden Demokratie zu berichten, auch kommentierend. Auf dass der Wählerschaft klar werden kann, ob die aktuelle Konzeption noch trägt oder durch einen Wechsel der Spielrollen das Prinzip der politischen Allmende aufzufrischen ist. In Erinnerung gerufen werden soll.
Die Medien verlieren den Status neutraler, reflektierender Beobachter, die Bürgerschaft verliert den Status der Freiheit. Weil jene, die in Position und Opposition beauftragt wurden, für eben jene Freiheit von Machtkämpfen der Bürgerschaft zu sorgen, damit diese für sich sorgen kann, versagen. Sinn der Repräsentation ist es, statt selbst kämpfen zu müssen, politische Akteure zu beauftragen, mit demokratischem Ringen Sorge für und um die Gesellschaft zu tragen. Und für die Klarheit zu sorgen, die es der Wählerschaft ermöglicht zu beurteilen, ob ein Wechsel in den Spielrollen angezeigt ist. Eine Klarheit, die dann durch die Medien ins Land getragen wird.
So entsteht ein Wechselspiel von Position und Opposition, das dann eben als Wechselwirkung Kraft entfaltet; ein Land, eine Gesellschaft, weiterbringt, ohne dass dabei die Sachthemen, z.B. Klima, Migration, sog. Digitalisierung, vernachlässigt werden. Denn sachlich, vernünftig betrachtet sind diese Probleme keine einer politischen Haltung. Sondern Fragen, die wissenschaftliches Treiben aufzuhellen vermag. Ob die Lösungen zu diesen Problemen mit weißen oder schwarzen Handschuhen angegangen werden, mit roten oder grünen, gelben oder blauen,… ist den Themen und wohl auch der Wählerschaft völlig egal: Die Gesellschaft hat sich zu diesen Problemen zu verhalten.
Nicht egal dürfte der Wählerschaft allerdings sein, mit welcher Stimmung, grundlegenden Haltung die Lösung dieser Probleme angegangen wird. Mit der Wahl von Parteien wird diese Stimmung geschaffen – so denn überhaupt Haltungen zur Wahl stehen und nicht vielmehr eine, vermeintlich konservative, so laut brüllt, dass die nicht-konservative erschrocken in einen Mutismus fällt und man so meinen könnte, es gäbe nur diese, sich rational-pragmatisch gebende, Stimme, letztendlich. Und diese dann ‚wählt‘, auch wenn man sie nicht haben will. Um mit einem solchen Protest darauf aufmerksam zu machen, dass die Stimmung, die Haltung, die die Wählerschaft sich wünscht, nicht erkennbar ist, eben nicht wählbar ist. Eine Haltung der Allmende, sichtbar durch das Angebot, Position und Opposition in einem demokratischen Parlament in ihren Rollen neu besetzen zu können.
Position und Opposition, nicht Position und Reposition. Und schon gar nicht eine ‚Mitte‘, die jegliche Position vermissen lässt und somit Opposition verunmöglicht. Politik hat auch diesen Freiraum für die Bürgerschaft zu schaffen, eine entspannte, politisch unbesetzte Mitte, aus deren neutraler Perspektive heraus das Treiben der sich allmendierenden Demokratie durch die Wählerschaft betrachtet, beurteilt und gesteuert werden kann.
Im Übrigen möchte ich abschließend noch all jene, die sich als Protestwähler verstehen, dazu aufrufen, statt fragwürdige und undurchsichtige Haltungen zur Macht zu verhelfen, ihren Wunsch nach einer freien Mitte durch die Abgabe eines sog. ungültigen Stimmzettels zu bezeugen. Ein ungültig genannter Stimmzettel heißt nicht, dass die Stimme ungültig ist, er heißt nur, dass die abgegebene und also gezählte Stimme bei der Zusammensetzung des Parlaments keine Rolle spielt.
14% ‚ungültige‘ Stimmzettel
sollten die Politik wohl daran erinnern können, dass sie aus Sicht des Souveräns an ihrem demokratischen Verständnis zu arbeiten hat.
Lit.:
Weber, Andreas: Indigenialität
Nicolai, Berlin 2018. 120 S., 20,00€
(auch als e‑Book erhältlich)
Denkzettel 2
Mensch sein ist ein anthropologisches Projekt. Mensch werden ein humanistisches.
Nicht nur an die Politik
Lasst die Mitte leer! In ihr entspringt ein Fluss. Besetzt ihr diese Quelle, veriegelt und versiegelt ihr des Lebens Born: Das Veränderungspotential, das aus der Differenz sich erhebt.
Zwei Jäger treffen sich im Wald
Anmerkungen zu Zorn, Daniel-Pascal: „Shooting Stars“. Philosophie zwischen Pop und Akademie.
Um es vorweg zu nehmen: Der Verfasser dieser Zeilen hier über oder zu o.g. Titel, im folgenden schlicht „ich“, ist auf’s Angenehmste überrascht: Zwei Stunden erhellende Lektüre ohne akademisch-elaboriertes Gerede, sondern luzid und konzis vorgetragene Perspektiven auf das, was als „Populärphilosophie“ und das, was als „akademische Philosophie“ bezeichnet wird. Ein angenehmer Text, der sich vor allen Dingen darin übt, das im Text Geforderte selbst zu erfüllen: Voraussetzungen zu klären. Und das weder in simplifizierender populistischer Manier noch in verkomplizierender Elitär-Attitüde. Sondern in der Anstrengung, leicht und dennoch präzise darzulegen, um was es (eigentlich) geht. Oder gehen sollte.
Auf eine Inhaltsangabe sei hier verzichtet und die daran Interessierten aufgefordert, selbst zu einem Urteil zu gelangen, ist denn ein solches gesucht. Und eine Zusammenfassung einer Zusammenfassung hat noch nie zu etwas Besserem geführt. Dieser, mein Beitrag will sich ein wenig mit dem Gelesenen beschäftigen, frei von und frei zu; und vor allen Dingen einmal beleuchten, wie es im Lichte der Überlegungen Zorns um das steht, was als „Philosophische Praxis“ allenthalben kursiert. Kurz draufleuchten, wir sind ja im Internet.
Vorneweg ist festzustellen und das „ich“ bzw. das fehlende Heidegger’sche „man“, in diesem Beitrag hier auch zu begründen: D I E Philosophische Praxis gibt es genauso wenig wie D I E philosophische Praxis oder D I E Philosophie: (»Was ›die Philosophie‹ ist, ist ein philosophisches Problem.« (S. 11)). Der Beitrag ist also ein rein subjektiver und erhebt keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
Das Wahre findet sich in der Differenz zu etwas Anderem, nicht in sich selbst. Deshalb ist die gegenseitige Oppositionalisierung von Populärphilosophie und akademischer Philosophie auch so wichtig und hilfreich, um herauszustellen, worum es Philosophie als solcher, unabhängig ihrer Erscheinungsformen, geht oder zumindest gehen soll oder auch sollte. Freilich ginge das wohl auch anders, ein Winkel zwischen den Positionen reicht ja auch schon aus, um eine Sache von mindestens zwei Perspektiven aus zu betrachten. 180° sind auch machbar. „Schau mir in die Augen, Kleines.“
Wer schreibt hier? Das ist unter Umständen wichtig, um den Beitrag einordnen zu können. Ich habe weder ein ‚anständiges‘ Philosophiestudium noch ziert meinen Namen ein akademischer Doktor-Grad oder überhaupt irgendeine akademische Auszeichnung. Mich hat neben einem ‚gefühlten Philosophen in mir‘, dessen akademisches Existenzrecht die Lebensumstände verunmöglicht haben, in der Tat Prechts Buch »Wer bin ich…« und die darauf folgende Lektüre von Ernst Tugendhat, und im folgenden dann Häppchenweise Hegel, Kant, Blumenberg, … bis hin zu ‚meinem‘ Philosophen, einem Bruder im Geiste, einem Seelenverwandten, wie mich deucht, Ludwig Wittgenstein geführt. Die intensive Lektüre seines Denkens und Lebens beginne ich nun und bin damit mindestens die nächsten 2 – 3 Jahre beschäftigt, wenn nicht gar noch viel, viel länger — habe ich doch mit diesem Philosophen meinen ‚archimedischen Punkt‘ im Philosophieuniversum entdeckt. Und im Zuge dieser Entwicklung nutze ich seit 2015 die Möglichkeit, als Gasthörer am Institut für Philosophie der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau weilen zu dürfen (Werbeblock: Ende).
Ich bin nun also durchaus ein Vertreter jener Spezies, die im Buch auf S. 39 genannt wird. Das mag nun viele Leser/innen verscheuchen, denn was will so einer schon sagen können, zumal über das höchste Gut menschlichen Geistes, das Philosophische? Das sollte doch dann denen überlassen werden, die das studiert haben und sich akademisch und/oder publizistisch nach einschlägigem Studium dazu äußern, die also wissen, wovon sie sprechen. Nun denn, Adieu, Danke für den Fisch und macht’s gut. (Ach so, eins noch: Richard David Precht hat Germanistik studiert.)
Meine private philosophische Praxis und auch meine kommerzielle Philosophische Praxis (p und P im Adjektiv zeigen die Differenz an) findet sich in Zorns Essay auf Seite 98:
Philosophie als Aufmerksamkeit, als Praxis, als eine Weise des Denkens, die das Denken anderer und das eigene Denken radikal hinterfragt, ohne sich zu verlieren und von diesem Punkt aus alles zu gewinnen, was die Welt und die Philosophie sein kann – das wäre eine Möglichkeit.
Nun, Herr Zorn, das wäre nicht nur eine Möglichkeit, das ist eine Möglichkeit. Dass diese Möglichkeit nicht von Marktregeln oder Ausbildungsregeln abhängt, dafür reichen diese Zeilen hier wünschenswerterweise hin. Besser lässt sich mein Anspruch an meine persönliche Haltung, als auch an meine berufliche Tätigkeit nicht in Worte fassen, zumindest vorläufig. (Ich weiß nämlich nicht, wie oft ich den Satz schon gesagt habe. Doch seit Karl Popper ist ja allgemeinhin bekannt, dass Wissen immer die Eigenschaft der Vorläufigkeit hat.)
So habe ich mir auch S. 10 markiert:
Und nur wenn sie [Populärphilosophie und akademische Philosophie;V.H.] verstehen, dass ›die Philosophie‹ zunächst keine Ansammlung von Weisheiten, Inhalten, Themen und Methoden ist, sondern eine Haltung, eine Praxis und ein aus dieser Haltung entstehendes radikales Problem ihrer Weitergabe, können sie einen Weg finden, der sie von Gegnern zu Partnern werden lässt.
Na, da ist sie, die gute alte Dialektik, die eine dort, der andere genau gegenüber, eine Wahrheit, unabhängig der eigenen Position. Da lässt sich dann immer prächtig streiten und solche Streits folgen nicht, zumindest meiner Alltagserfahrung nach, einem Spiel von These und Antithese, zu einer Synthese führend, diese zeitigend, sondern zu zwei Bollwerken, die die jeweilig eigene Position als die richtigere gegenüber der anderen (a) anpreisen und (b) zu rechtfertigen suchen. Ja, kann so gemacht werden, auch so geht die Zeit ’rum.
Da ziemt sich’s schon gescheiter, die beiden Positionen einmal als Extreme zu verstehen und nach einer aristotelischen, balancierenden Mitte zu suchen. Zorns Text kommt mir so daher, als versuche er sich genau in dieser Weisheit. Nicht ungelungen, aber das deutete ich bereits an.
Sehr dankbar bin ich dem Autor Zorn um Seite 41 (Was da steht, sollte eigentlich, will nicht in Panik verfallen sein, auf Seite 42 stehen):
Viel interessanter ist, dass die Populärphilosophie das, was sie auf einer tieferen Ebene in Frage stellt, also das Selbstverständliche und sicher Geglaubte, auf einer höheren Ebene selbst wieder installiert. […] In genau dieser Hinsicht besitzt die Populärphilosophie eine ideologische Funktion. […] Wenn Populärphilosophie so argumentiert, dann ist sie Opium fürs Volk.
Das Zitat ist nun arg fragmentiert, aber das hier will auch keine kritische Auseinandersetzung sein. Doch was in den dargelegten Textstellen dieser Passage für mich zum Ausdruck kommt, ist genau das, was ich mittlerweile an der Populärphilosophie, an einigen Vertreter/innen eben dieser, präzise gesagt, kritisiere: Da geht es nicht mehr um das, was ich unter ‚philosophieren‘ subsummiere. Da geht es nicht darum, eine Frage so präzise zu stellen, also so lange an ihr zu arbeiten, dass sie bereits auf die Antwort verweist und diese gleichsam notwendigerweise gebiert, sondern darum, bequeme Antworten zu liefern und diese irgendwie aus der philosophischen Historie heraus zu begründen (Was, so scheint mir, bei mit philosophischer Literatur Unvertrauten, ein allzu leichtes Spiel ist). Das mag in der Rezeptkultur, in der ich Deutschland seit Helmut Kohl wähne, angehen und en vogue sein. Doch für mich ist das keine Philosophie, sondern Sophisterei, im schlimmsten Falle: Religion. Was nun allerdings nicht heißt, diese zu verurteilen. Glücksratgeber und Weisheitslehren erfüllen alle ihren lebenspraktischen Sinn und Zweck und daran ist auch gar nichts zu bemängeln. Nur sollte das dann selbst, allein der Redlichkeit wegen, den Anspruch an etwas philosophisches zumindest mit einem großen Fragezeichen schmücken.
Eine andere Stelle, neben den vielen anderen, die ich mir markiert habe, auf S. 51:
Was aber wird hier [die Rede ist von Platon und die Aufhebung von Selbstverständlichkeiten;V.H.] lehrbar gemacht? Kein Wissen, keine positiven Bestimmungen, sondern eine bestimmte Art und Weise des Fragens, des Antwortens, des Zeigens. Und dieses Zeigen hat stets damit zu tun, dass man das, was gesagt wird, auf das bezieht, wie es gesagt wird. Deswegen kann das Zeigen eine Lehre sein, auch dann, wenn es selbst, als zeigen, nie angesprochen wird.
Das könnte fast von Ludwig Wittgenstein stammen. Oder von einem Zen-Meister.
An späterer Stelle im temporalen Erleben des Essays wird häufig das Wort „Ausbildung“ im Kontext des Lehrens der Philosophie gebraucht. Das hätte ich gerne in einer zweiten Auflage durch die Streichung der Silbe „Aus“ aktualisiert. Auf S. 69 wird Kant herangezogen und mit
›unter allen Vernunftwissenschaften […] niemals […] Philosophie (es sei denn historisch), sondern, was
die Vernunft betrifft, höchstens nur philosphieren lernen‹
zitiert. Nun, eben: philosophieren lernen — nicht lehren. Ich habe im Rahmen meiner Gasthörerschaft an der hiesigen Universität ziemlich schnell spitzgekriegt, dass es ein Studium der Philosophie eigentlich (außer eben historisch) nicht gibt, sondern ich in einem solchen Studium das Studium von Philosophien übe und so das eigene Philosophieren schärfe, wie des Messers Tugend am Wetzstein erfrischt wird. Deshalb erscheint mir auch die Rede von einer Ausbildung unsinnig: Ich wüsste nicht, wie mir vernünftigerweise gezeigt werden könnte, dass ein Philosophiestudium jemand zur/m Philosoph/in macht — dann müsste ein Kunststudium auch jede/n zum Künstler oder zur Künstlerin machen können.
Doch solche Studiengänge vermitteln eben nicht ein Wissen wie es z.B. der Maschinenbau tut. Sondern sie bilden das, geben dem eine Form, was schon da ist. (Oder, ja, auch das Bild eines Steinmetzes (w/d/m) hat eine Resonanz: das weghauen, was überflüssig ist. Also die Flausen im Kopf verdampfen lassen.) Deswegen bitte keine Rede mehr von einer Philosophen-Ausbildung, sondern nur noch von der Philosoph/innen-Bildung. So kann sich das auch frei machen von einer akademischen Vereinnahmung und das, was als Denken zu gelten hat, auf den Kreis Universitätsangehöriger einengen. „Naturgemäß“ finden sich an der Universität viele Philosoph/innen. Zumeist die, die es geschafft haben, ihr Taxi gewinnbringend zu verkaufen.
Die letzten beiden Kapitel des Essays, »Was ist gute akademische Philosophie« und »Was ist gute Populärphilosophie« finde ich äußerst gelungen. Im Kapitel über gute Akademie spricht Zorn von dem Gemeinsamen vielfältiger akademischer Philosophie-Perspektiven: das kritische In-Frage-Stellen, das Mit-Gründen-Rechtfertigen und die radikale Kritik (S. 92f). In drei Worten von mir: Skepsis, Skepsis, Skepsis. Und diese Skepsis nun ist genau die »philosophische Aufmerksamkeit« (S. 93). Und zu der kann nicht ausgebildet, sondern, m.b.M.n., sich nur selbst herausgebildet werden. Denn da steckt ein Wagnis dahinter: Das Wagnis, nachher anderer Meinung sein zu müssen als vorher, und das der eigenen Argumente vor sich selbst wegen. Da mag das Geburtstagskind des Jahres, Jürgen Habermas, mit seinem zwanglosen Zwang des besseren Argumentes, durchscheinen.
Und gute Akademie ist in der Tat ein guter Ort für diese Übung der eigenen Bildung, sei sie dann durch akademische Weihen abgesegnet oder nicht. Sicherlich ist die Universität nicht der einzige Ort in einer als Bildungslandschaft aufgefassten Welt, wo dies möglich ist. Wer in einem Handwerk oder einem anderen nicht-akademischen Métier an eine/n guten Meister oder Meisterin gerät, mag zur selben Einsicht gelangen. Doch ich fürchte, solche Beispiele bester Lehre sind im Handwerk wie an der Universität und auch anderorts nicht in dem Maße vertreten, wie es wohl wünschenswert wäre. Sonst gäbe es womöglich die Kluft zwischen akademischer und populärer Philosophie überhaupt nicht und beide würden sich als Formen geistiger Tätigkeit auffassen können, keiner besser oder schlechter als der andere. Nur eben: Anders. Wie gesagt, die Wahrheit findet sich in der Differenz zu anderen, und nicht in den Sachen selbst. Was noch lange keine bipolare, oder, wir leben ja in Zeiten künstlicher Intelligenz, binäre „Dialektik“ erzwingt.
Das große Plus, und da stimme ich Zorn aus eigener Empirie voll und ganz zu, ist die Freiheit von »Zwänge[n] der Forschung«, die sich Populärphilosophie nimmt (S. 95), nehmen kann und ich möchte sagen: sogar nehmen soll. Und Zorn nennt auf S. 97 einen weiteren Punkt, in dem ich ihm unumwunden beipflichten möchte:
Sie [die Populärphilosopie;V.H.] wäre [mit einem realistischen Anspruch;V.H.] nicht mehr die populäre Version der akademischen Philosophie oder einer akademischen Tradition.
Genau diesen Eindruck gewinne ich oft bei der Populärphilosophie: Statt als eigenes philosophisches Genre neben der akademischen Philosophie in Erscheinung zu treten, übt sie sich (also einige ihrer Vertreter/innen) irgendwie verschämt darin, als „Akademie light“ aufzuwarten und sich als besonders effizient gegen die akademische Philosophie zu verkaufen (man kaufe nur ein einziges Buch und spare sich Jahre, ja immerwährendes Studium und wisse so also letztgültig „Bescheid“ (vgl. S. 21)1⇣Eine gute Übersicht bietet übrigens Störig, H.J.: „Kleine Weltgeschichte der Philosophie“. Ersetzt kein Vollstudium, verschafft aber … Weiterlesen…). Man könnte den Eindruck gewinnen, sie wetzt sich an der Akademie die Klinge, um sie dann kalt zu machen. (Übersieht dabei aber vielleicht deren dickes Fell.)
Zwei Dinge sind mir noch aufgefallen: Durch das Buch zieht sich eine Frage, die auf S. 33 erstmals gestellt wird:
Wie soll man jemanden das, was er nicht gelernt hat, beibringen, wenn das, was ihm fehlt, die Bedingung dafür ist, dass er es lernen kann?
Die Gegenfrage, die ich da anzubieten hätte, ist: Kann die Bedingung zur Möglichkeit überhaupt gelehrt werden? Oder ist es vielleicht nicht vielmehr so, dass etwas ‚geweckt‘ werden muss? Und eine mögliche Antwort habe ich dann auf S. 53 gefunden, es ist die Überschrift des Kapitels, das dort beginnt:
Die Welt verlieren, um die Welt zu gewinnen
Ich musste bei dieser Überschrift sofort an einen Menschen denken, der, soweit ich weiß, auch keine Philosophie studiert hat, aber zuweilen recht sinnvolle Sätze äußert. Wie z.B. diesen:
Dahin gehen, wo man umkommen kann, um nicht umzukommen.
Diesen Satz kenne ich von Reinhold Messner, seines Zeichens emeritierter Alpineur der ganz heftigen Sorte.
Bei aller Bescheidenheit, zu der ich gute Gründe habe, möchte ich hier nun doch noch auf mein Projekt der Dilettantie hinweisen, die ich auszuarbeiten, na, ich bleibe Wittgenstein treu: zu skizzieren gedenke. Diese Dilettantie soll sich als eine weitere, ernstzunehmende Weise des Philosophischen verstehen und sich in der Philosophischen Praxis etablieren. Nicht unter und nicht über den anderen Weisen, sondern neben ihnen. Oder, die balancierende Mitte noch einmal aufgreifend: Zwischen U‑Philosophie und E‑Philosophie eine P‑Philosophie manifestieren, eine praktizierte Philosophie.
Denn: Sehe ich die akademische Philosophie sich einer Philosophie als Wissenschaft verpflichtet, möchte ich das, was die dilettantische auszeichnet, mit gleichem Ernst und Anspruch, als sich dem Philosophischen im Verständnis einer Kunst zuwendend verstanden wissen.
Gegen eine Einordnung einer solchen dilettantischen Philosophie als Populärphilosophie hätte ich gar nichts einzuwenden. Solange sie von einer dilettantistischen und in meinen Augen damit populistischen Weise der (vermeintlichen) Verphilosophisierung der Welt streng unterschieden, ja, eben: geschieden ist.
Solche Dinge zu wagen, sich der Kritik aussetzbar zu machen, möglichen Schmähungen oder bemitleidenden Äußerungen oder andere Weisen der Abwertung in Kauf zu nehmen, meint »Die Welt verlieren«. Seine Insel der Seeligkeit geschaffen zu haben, nach jahrzehntelangen Aufhäufen von Sand im weiten Meer des Denkens, und diese Insel nun zu bewohnen und zu behaupten, ihr einen denkenden Kopf aufzusetzen, das meint »Welt gewinnen«.
Als ich über Twitter von der Existenz dieses Buches erfuhr, fragte ich den Autor, dass „Philosophische Praxis“ wohl nicht vorkäme, was dieser auch bestätigte. Nun, Herr Zorn, ich wage da zu widersprechen (Vielleicht geht es Ihnen ja wie Kant und sie verstehen sich selber nicht (vgl. S 86f)): Der Essay ist aus meiner Perspektive ein Essay von und über philosophische Praxis, wie ich sie in meiner philosophischen wie Philosophischen Praxis übe, in dem ich es, das Philosophieren, nicht genauso, aber in einem solchen Sinn von »die Philosophie« ausübe.
Zumindest übe ich mich darin.
Lit.:
Zorn, Daniel-Pascal: Shooting Stars.
Klostermann, Frankfurt/Main, 2019.
Zu guter Letzt: Sollten dem/r Leser/in einige Zeilen hier merkwürdig sinnfrei erscheinen: Lesen Sie das Büchlein »Shooting Stars«, dann erhellt sich das schon. Der Seitenhieb mit der 42 und die Sache mit dem Fisch geht natürlich voll und ganz auf das Konto von Douglas Adams. Sollte immer noch etwas unklar sein, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach schlicht um eine ironische Bemerkung. Denn der Humor hat bei allem Ernst auch in der Philosophie seinen Platz, nicht nur als Ironie. Gerade in der dilettantischen. Ein Luxus, den sich diese leisten kann. Denn: Was wäre Philosophie ohne Witz?
⇡1 | Eine gute Übersicht bietet übrigens Störig, H.J.: „Kleine Weltgeschichte der Philosophie“. Ersetzt kein Vollstudium, verschafft aber Orientierung. |
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