Denkzettel 103

Die­se, un­se­re, Welt be­steht nicht aus ‚dem Men­schen‘, son­dern aus den Men­schen. Nicht aus ei­ner Form, son­dern aus In­hal­ten. Nicht dar­aus, wie es im­mer sein soll, son­dern wie es ist, von Mo­ment zu Mo­ment.

Sie be­steht aus Wirk­lich­keit, nicht aus Wahr­heit — die­se ist ei­ne Idee von uns, mit­tels der wir uns in un­se­rer Wirk­lich­keit ori­en­tie­ren kön­nen. Die uns ei­nen Plan ver­mit­telt.

Die in­tel­li­gi­ble Wirk­lich­keit, un­se­re kul­tür­li­che Welt, ist aus den Wahr­hei­ten der Men­schen über die na­tür­li­che Welt zu­sam­men­ge­setzt.

So al­so: Kon­stru­iert, nur oh­ne Über­plan. Denn ‚den Men­schen‘ gibt es nicht. Es gibt ‚Leit­ideen‘ zu ihm — und ei­ne sol­che kann zu­wei­len wie ein Ge­ne­ral­plan mit fi­xem Ziel, End­sinn, End­zweck in der Welt er­schei­nen. Cui bo­no?

Denkzettel 96

Der Über­mensch: der, der man sein soll, zu dem man ver­an­lagt, be­gabt, ir­gend­wie auch: ver­ur­teilt ist. Die­sen Über­men­schen in sich zu er­ken­nen, ist ei­ne un­ge­heu­re, nicht nur in­tel­lek­tu­el­le An­stren­gung. Ein Akt in­ten­sivs­ten Den­kens, mit al­len Sin­nen, um nicht ei­ner ge­fäl­li­gen Il­lu­si­on auf­zu­sit­zen. Al­so in al­ler­schärfs­ter Red­lich­keit, Mo­ral, nach ihm zu trach­ten, Mut zu ihm zu ha­ben; nach bes­tem Wis­sen und Ge­wis­sen, nicht nach Er­war­tun­gen An­de­rer. Und al­so kei­nem Ide­al hin­ter­her­zu­lau­fen wie ein Schaf in der Her­de dem Schä­fer, be­wacht von des­sen Hund, son­dern die ‚Wahr­heit‘ über sich, das ‚wah­re‘ Ich, sich selbst in Er­fah­rung brin­gen: Sei­ne Wirk­lich­keit be­grei­fen.

Viel­leicht ist die­ser Über­mensch, die ei­ge­ne ‚Klas­se‘, der ei­ge­ne ‚Typ‘, nicht er­reich­bar, un­er­reich­bar — wie die Weis­heit.
Kein Grund je­doch, je­ne klas­se Ty­pe (w/d/m), je­nen Über-Mensch in sich nicht zu ach­ten.
Kein An­lass, kein Freund sei­ner selbst sein zu wol­len. Und da­mit: An­de­rer.

Denkzettel 94

Ju­ris­tisch (Art. 1 GG BRD) Mo­ra­lisch
»(1) Die Wür­de des Men­schen ist un­an­tast­bar. Sie zu ach­ten und zu schüt­zen ist Ver­pflich­tung al­ler staat­li­chen Ge­walt.« „Die Wür­de des Men­schen ist an­tast­bar. Sie zu ach­ten und zu schüt­zen ist Ver­pflich­tung al­ler staat­li­chen Ge­walt.“
Wes­halb soll­te et­was ge­schützt wer­den müs­sen, das un­an­tast­bar ist? Ist es durch die Un­an­tast­bar­keit selbst nicht schon ge­schützt? Denn un­ver­letz­bar ist sie kei­nes­wegs.

Nie.
»(2) Das Deut­sche Volk be­kennt sich dar­um zu un­ver­letz­li­chen und un­ver­äu­ßer­li­chen Men­schen­rech­ten als Grund­la­ge je­der mensch­li­chen Ge­mein­schaft, des Frie­dens und der Ge­rech­tig­keit in der Welt.« „Die Bür­ger als Bür­gen des Staa­tes be­ken­nen sich da­mit zur Ver­letz­lich­keit und Ver­äu­ßer­bar­keit von Men­schen­rech­ten als Grund­la­ge je­der mensch­li­chen Ge­mein­schaft, des Frie­dens und der Ge­rech­tig­keit in der Welt.“
»(3) Die nach­fol­gen­den Grund­rech­te bin­den Ge­setz­ge­bung, voll­zie­hen­de Ge­walt und Recht­spre­chung als un­mit­tel­bar gel­ten­des Recht.«

Und die Moral von der Geschicht’ …

Nietzsches »Jenseits von Gut und Böse«, nur anders.

Das „Jen­seits von“ die­ser Be­trach­tung ist das Jen­seits von My­thos und Lo­gos und will nun über­haupt kei­ne Theo­lo­gie als Gram­ma­tik ver­ste­hen (Wittgenstein/Luther) oder an­de­re Tricks ein­set­zen, um über et­was zu re­den, wo­von not­wen­di­ger­wei­se nur ge­schwie­gen wer­den kann. Dies Jen­seits ist ge­fasst in Sprach­lo­sig­keit, über die ge­spro­chen wer­den soll, auch wenn sie eben nicht di­rekt aus­ge­spro­chen wer­den kann. Denn in die­ser Sprach­lo­sig­keit ver­schwin­det der Mensch ja nicht. Er bleibt ja da — nun eben als Natur‑, nicht als Kul­tur­we­sen. Sei­ne Le­bens­welt mag da sei­ne Gren­ze fin­den, sei­ne na­tür­li­che Welt­lich- und Wirk­lich­keit nicht.

Und was ist er nun als sol­ches Na­tur­we­sen? Ei­ne „blon­de Bes­tie“ wie ihn Nietz­sche ter­mi­nier­te? Oder doch letzt­lich ein Geist­we­sen, wie es Esoteriker/innen wohl an­denken? Oder ein geist­li­ches, ver­geis­tig­tes We­sen, wie sie in Kir­chen durch­aus an­zu­tref­fen sind?

‚Geist‘ sei hier als zur Na­tur des Men­schen ge­hö­rend und ihn zur Kul­tur be­fä­hi­gend ge­dacht. Doch die­ser ‚Geist‘ scheint we­der Gott noch Wil­le, noch sons­ti­ger jen­sei­ti­ger, ‚hö­he­rer‘, über­sinn­li­cher Art und Wei­se zu sein; noch scheint er ra­tio­nal be­greif­bar, noch ver­nünf­tig er­fass­bar zu sein. Er ist ein­fach ‚da‘. Es ist wirk­lich: „da sein“ (Heid­eg­ger). Er ist Teil un­se­rer Na­tur, ent­steht in un­se­rem Kör­per, der dann eben als ‚be­seelt‘ er­scheint, un­se­rer Selbst­wahr­neh­mung wie der Wahr­neh­mung an­de­rer nach. Und so man­che glau­ben dar­an, dies kä­me eben von ei­nem wie auch im­mer ge­ar­te­ten ‚Oben‘. Doch wir kön­nen den ‚Geist‘ nicht fas­sen – wie das Geis­ter ja so an sich ha­ben sol­len –, we­der be­griff­lich noch emp­fin­dend und er wird wohl auch nicht di­rekt ver­mess­bar sein. An der Kul­tur be­mer­ken wir ihn, da ma­ni­fes­tiert er sich, wird ‚sicht­bar‘, doch eben nur als Epi­phä­no­men, nicht als Phä­no­men an sich. Der ‚Geist‘ an sich ist für uns nicht er­reich­bar (Kant). Viel­leicht, weil er eben stets ‚im Be­griff ist zu sein‘ und so kein po­si­ti­ves Sein hat, al­so: im­ma­te­ri­ell bleibt. Ne­ga­tiv.

Und ich blei­be da­bei: die­ser ‚Geist‘ hat kei­nen Wil­len; ist rei­nes Me­di­um, pu­rer Ver­mitt­ler. Ver­mit­telt zwi­schen bio­lo­gi­schem Kör­per und na­tür­li­cher Welt, i.F. „Na­tur­welt“, zwi­schen Den­ken und Han­deln, Vor­stel­len und Wil­le (Scho­pen­hau­er). Und (v)erschafft als ‚Zwi­schen‘ Le­bens­welt.

Und man­che, weil sie Nicht-wis­sen-kön­nen nicht er­tra­gen kön­nen, ge­ben die­sem ‚Geist‘ ei­ne Ge­stalt: Gott. Na­tur. Kul­tur. Und ei­nen Wil­len, ein Ge­setz, ein letzt­end­li­ches Ziel be­kommt die­se Ge­stalt gleich mit. Und all dies sind je­doch eben nur ‚Hen­kel‘ (Fi­gal), mit de­nen sich un­ser Rech­nen der Welt hab­haft macht. Stel­len wir die­ses Rech­nen ein, be­schrän­ken uns völ­lig auf das Den­ken, al­so das Ver­neh­men des­sen, was ist, ver­schwin­det die Le­bens­welt zur Gän­ze. Da(s) ist die Na­tur des Men­schen: Reg- und ta­ten­los, al­so wil­len­los, ab­sichts­los, sitzt er da, ‚im Be­griff zu sein‘, al­so: im Wer­den. Wenn er nichts tut, wird er so ster­ben. Das ist, wie Nietz­sches „Wil­le zur Macht“ ‚ge­le­sen‘ wer­den kann — al­so Sinn ‚zwi­schen den Zei­len‘ her­aus­ge­pickt wie einst die Bee­ren im Wein­berg: der Mensch muss et­was tun, um zu über­le­ben. Er kann die­ses Tun un­ter­las­sen, doch dann stirbt er. Der Mensch muss et­was tun, ma­chen, mäch­tig, tä­tig sein, um zu über­le­ben. Von al­lein geht da gar nichts. An­ders eben als beim Tier, wel­ches über ei­nen sol­chen brem­sen­den, will mei­nen: wer­den­den ‚Geist‘, nicht ver­fügt. Für sich im­mer schon ist, und oh­ne sel­bi­gen eben weit­aus un­an­ge­streng­ter über­le­ben und sich fort­pflan­zen kann. Man könn­te fast mei­nen, der Mensch hat sich als Tier, wel­ches er ein­mal war, als völ­lig un­ge­eig­net er­wie­sen. Bis ‚Geist‘ in ihm ent­stand. Oh­ne je­nen wä­ren wir ver­schwun­den wie die Di­no­sau­ri­er.

Ist der Mensch al­so nur ein Män­gel­we­sen (Geh­len), so be­trach­tet? Eher nicht, son­dern viel­mehr im Ge­gen­teil: Er ist mit ‚Geist‘ über­füllt. Die­ser ‚Geist‘, Aus­brem­ser des Le­bens, weil er den Men­schen im ‚im Be­griff sein‘ fest­hält. So ge­se­hen hält der ‚Geist‘ den Men­schen fest: ein fest­ge­stell­tes, an­ge­na­gel­tes Tier.

Und es ist eben der Wil­le, für uns ver­nehm­bar als Wol­len, der den Men­schen aus der Un­tä­tig­keit holt und ihn Klei­der ma­chen lässt, Fleisch ja­gen und ko­chen lässt, Hüt­ten bau­en lässt, etc. pp., ihn der Fest­stel­lung ent­hebt. Der Wil­le, z. B. als Hun­ger ver­nom­men, und das Wol­len, wel­ches ihn die nächs­te Pom­mes-Bu­de an­steu­ern lässt. Ge­nau­er: mit­tels des­sen er die­se an­steu­ert, Wahl ist Wahl, da beißt die Maus kei­nen Fa­den ab. Der Wil­le, me­ta­pho­risch, viel­leicht bud­dhis­tisch, ge­spro­chen: der Durst, ist es, der den Men­schen aus sei­nem ‚im Be­griff sein‘ her­aus­holt, ihn in Be­we­gung setzt, aus sei­ner Un­tä­tig­keit, Un­mäch­tig­keit, zu dem ihn die­ser ver­ma­le­dei­te ‚Geist‘ mit sei­nem ‚im Be­griff sein‘ ver­don­nert. Der Mensch muss sich ge­gen sei­nen ‚Geist‘ durch­set­zen, will er über­le­ben. Er braucht den Durst, sein ‚Geist‘ kä­me nie auf die Idee, et­was zu trin­ken. Wo­zu auch? Er ist ja „eh da“.

Und die­ser Durst ist eben ei­ne An­ge­le­gen­heit des Kör­pers, nichts nicht-Kör­per­li­ches, ‚Geis­ti­ges‘. Der ‚Geist‘ ist die Brem­se des Mo­tors, der Ant­ago­nist des Wil­lens. Und oh­ne die­se Brem­se, ein „geist­lo­ser Mensch“ al­so, wä­re ein Mensch, der sich selbst ver­zeh­ren wür­de, in un­er­sätt­li­cher Gier. Al­lein der ‚Geist‘ mit sei­ner Ma­ni­fes­ta­ti­on des Den­kens, des Ver­nünf­tig seins, des Ge­wahr wer­den kön­nens was ist, hält ihn da­von ab, die Er­de, sein Ha­bi­tat, bis zum letz­ten Trop­fen aus­zu­trin­ken, aus­zu­beu­ten — zu zer­stö­ren.

Mo­ment! Da stimmt doch was nicht! Mensch macht doch ge­nau das! Zu­min­dest ist er, Kli­ma­wan­del nur als ein Bei­spiel, auf dem bes­ten We­ge das Tier in ihm mehr und mehr zu ent­fes­seln, zu be­frei­en, zu ent­fal­ten – das Tier, es ist noch nicht fest­ge­stellt, der Hund noch nicht an der Lei­ne. Er ent­geis­tet sich, sein Wil­le bricht sich in un­ge­zü­gel­tem Wol­len Bahn. Die Ver­nunft ver­sagt, das gie­ri­ge Tier bricht her­vor, wie ein Leit­wolf stürzt es sich auf sein Lamm um es zu ver­til­gen, vom Hun­ger – Neu­ge­bo­re­ne ha­ben Hun­ger, der ge­stillt sein will, nicht Durst, der zu lö­schen wä­re – ge­trie­ben.

Ei­ne Ma­ni­fes­ta­ti­on die­ses Wol­lens ist der Ver­stand. Im­mer aus­ge­klü­gel­te­re Tech­ni­ken ver­schafft sich der Mensch mit ihm, um die Er­de, ach was: das Uni­ver­sum! sich Un­ter­tan zu ma­chen, um Herr zu sein in der Na­tur­welt — wenn sei­ne Le­bens­welt schon auf’s Sprach­li­che be­grenzt ist. Und da wird dann eben nicht mehr nach ir­gend­wel­cher Mo­ral ge­fragt, son­dern al­lein der Nut­zen ist der Maß­stab. Da steht er dann, im Jen­seits von Gut und Bö­se. Meint er. Tat­säch­lich: Mit­ten­drin.

Will Mensch zu sei­ner Na­tur fin­den, kann er mehr ‚Geist‘ wa­gen. Nicht in Form dog­ma­ti­scher Kir­chen oder ent­fes­sel­ter Kunst noch sons­ti­ger kon­stru­ier­ter Ethi­ken und Äs­the­ti­ken, die ja letzt­lich auch nur Tech­ni­ken sind. Nein, in die­sem stil­len, oh­ne Ab­sicht sei­en­dem Da­sit­zen, Da­sein, ‚im Be­griff sein‘, die­sem … mo­ra­lisch sein, in­dem er sich so au­ßer­halb der Ethik von Gut und Bö­se hin­stellt, sich au­ßer­halb des Wi­der­spruchs be­gibt, da(s) ist sei­ne na­tür­li­che Kor­rek­tur — es braucht kei­nen Gott mehr, der kann tot sein. Der ent­fes­sel­te Ver­stand hin­ge­gen ge­hört nicht zu sei­ner Na­tur, er ist ein kul­tu­rel­les Gut. Die Evo­lu­ti­on hat ei­nen ver­nünf­ti­gen Men­schen her­vor­ge­bracht — doch er miss­ver­steht sich als ver­stän­di­ges We­sen. Und da er sich mit­tels des Ver­stan­des mit den Re­geln der Ra­tio­na­li­tät, des Nut­zens, des Ra­tio­nel­len im­mer wie­der auf’s Neue vor sich selbst recht­fer­ti­gen kann, wird sein „Wil­le zur Macht“ schließ­lich das Uni­ver­sum be­sie­gen. Und die Lo­gik gibt ihm Recht. Und reicht die nicht, ist’s die Gram­ma­tik, die ihn da­zu be­fä­higt. Passt auch das nicht, wird’s eben ei­ne Theo­lo­gie oder das rei­ne Glau­ben. Gott­ge­ge­ben, zu Recht ver­fer­tigt.

Ob zu sei­nem Wohl, bleibt frei­lich da­hin­ge­stellt. Denn es ist leicht sich vor­zu­stel­len, wo­hin die­ser Sie­ges­wil­le – der aus nichts an­de­rem ge­bo­ren wird als aus der pu­ren Furcht vor dem nicht­tä­ti­gen, un­mäch­ti­gen Da­sein, weil dies für ihn den Tod be­deu­te­te – ra­di­kal zu En­de ge­dacht, füh­ren wird: Zur Selbst­be­herr­schung. Doch die­se ist dann eben ei­ne Selbst­ver­nich­tung.

„So ist die Na­tur des Men­schen, er ist sich selbst ein Wolf, Ho­mo ho­mi­ni lu­pus!“ (Hob­bes).

Nein. So ist sei­ne Kul­tur. Das ver­wirk­lich­te Mär­chen vom bö­sen Wolf und den sie­ben Gei­ße­lein. Oder je­nes vom Rot­käpp­chen und dem bö­sen Wolf. Nur den Jä­ger (w/d/m), der den Men­schen aus dem Bauch sei­nes Wolf­s­eins be­freit, den gibt es nicht. Das müss­te ja ein ‚Über­mensch‘ sein, von ‚Oben‘ kom­men. Und so wird die­ses rea­li­sier­te Mär­chen dann kein gu­tes En­de fin­den. Im Ge­gen­satz zu dem, wel­ches er er­fun­den hat. Iro­nie des Schick­sals.

Au­ßer (je)der Mensch ent­deckt in sich den Jä­ger. Sei­nen ‚Geist‘.

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Kampfgeist

Ausgeglichenheit als lebhafte Ruhestifterin.

Wer kennt sie nicht, die Kampf­kunst Ai­ki­do (jap.: 合気道)? Wohl eher: vie­le. An­de­re Din­ge mit „-do“ am En­de (nein, es ist kein Eng­lisch und steht nicht für „tun“ … ob­gleich…) sind da ge­läu­fi­ger: Ju­do, zum Bei­spiel. Al­ler­dings wird es sich im Gro­ßen und Gan­zen da­mit auch schon er­schöpft ha­ben.

Das „-do“ stammt hier aus dem Ja­pa­ni­schen und be­deu­tet „Weg“. Frei­lich ist nicht die Au­to­bahn A5 ge­meint, son­dern „Weg“ meint hier ei­ne Me­ta­pher. „道“, „DO“ in der sog. KUN-Le­sung, so gibt das Kan­ji-Le­xi­kon1⇣https://mpi-lingweb.shh.mpg.de/kanji/ — die im Ja­pa­ni­schen ver­wen­de­ten Schrift­zei­chen chi­ne­si­schen Ur­sprungs wer­den Kan­ji ge­nannt. zur Aus­kunft, meint:

(Präf. Hok­kai­do) | Ge­lehr­sam­keit, Kunst | Me­tho­de | re­li­giö­se Leh­re | spre­chen | Stra­ße | Tao­is­mus | Weg der Tu­gend

Wen­den wir uns noch kurz den bei­den an­de­ren Kan­ji zu und be­die­nen uns der­sel­ben Quel­le zur Klä­rung der Be­deu­tung von „気“, KI:

Ab­sicht | Atem | At­mo­sphä­re, Luft | Auf­merk­sam­keit, Sor­ge | Be­wusst­sein, Geist, See­le | Cha­rak­ter, Na­tur, Tem­pe­ra­ment | Ge­fühl, Stim­mung

und schließ­lich „合“, AI: Hier schweigt sich das Le­xi­kon zu­nächst aus. Nun schreibt hier kein Ex­per­te der ja­pa­ni­schen Spra­che, über­haupt nicht, so sei al­so auf das im Le­xi­kon zu fin­den­de „a(u) あ(う)“ ver­wie­sen mit den Be­deu­tun­gen

har­mo­nie­ren, über­ein­stim­men | rich­tig ge­hen, stim­men | sich ver­ei­ni­gen

Der Text hier will kei­nen Un­ter­richt im Ja­pa­ni­schen er­tei­len, son­dern sich um ei­ne In­ter­pre­ta­ti­on der Zei­chen be­mü­hen. Das Tri­ple ist ja viel­deu­tig und mit­hin klä­rungs­be­dürf­tig. Wo­bei vor­ne­weg zu sa­gen ist: ei­ne In­ter­pre­ta­ti­on — ge­wiss nicht die. Kann es ei­ne sol­che ge­ben? Wie auch im­mer, die Aus­füh­run­gen hier ver­wer­fen die gän­gi­ge In­ter­pre­ta­ti­on nicht.

Das ers­te An­zei­chen, wor­um es im Ai­ki­do ge­hen kann, ist be­reits die Aus­spra­che. Denn wür­de statt Ai­ki­do Ai­ki-Do ge­schrie­ben wer­den, wür­de sich schon an­zei­gen, um was es bei die­ser Kampf­kunst geht: Um Har­mo­nie. Um En­er­gie. Und die Kom­bi­na­ti­on von bei­dem (er)gibt dann ei­nen Weg.

Schon geht es los mit der In­ter­pre­ta­ti­on, zu­mal, wenn man des Ja­pa­ni­schen eben nicht mäch­tig ist und sich dann so sei­ne Ge­dan­ken um das ir­gend­wie omi­nö­se Tri­ple macht. Wo­mög­lich wä­re den Japaner/innen sol­che Über­le­gun­gen, wie sie hier an­ge­stellt wer­den, voll­kom­men fremd: schon Ludwig Wittgenstein mein­te ja, die Be­deu­tung ei­nes Wor­tes be­stim­me sich meist aus sei­nem Ge­brauch2⇣Witt­gen­stein, Lud­wig: Phi­lo­so­phi­sche Un­ter­su­chun­gen, §43.. Ein sol­cher Satz ei­nes Sprach­phi­lo­so­phen will frei­lich auf al­le Spra­chen an­wend­bar sein, soll es Phi­lo­so­phie sein.

Be­trach­ten wir al­so das al­les hier ein­mal als ein Spiel. Ein Spiel, das kein Wis­sen ver­mit­teln will oder et­was leh­ren, son­dern ein Spiel, das die Welt wei­ter ma­chen will.

Zu­rück zur In­ter­pre­ta­ti­on: Ai und KI ge­ben ein DO, ei­nen Weg. (Und nein, hier ist we­der von ‚ar­ti­fi­ci­al in­tel­li­gence‘ noch von ‚künst­li­cher In­tel­li­genz‘ die Re­de, der mensch­li­che Geist (gibt es ei­gent­lich noch ei­nen an­de­ren?) reicht voll­kom­men, um dem Spiel zu fol­gen.) Das KI wird ger­ne mit „En­er­gie“ über­tra­gen, doch schau­en wir uns die Über­set­zung oben an, gibt das Kan­ji das ei­gent­lich gar nicht her. Al­ler­dings klingt es so schön ‚fremd‘, ge­heim­nis­voll, klan­des­tin und um­gibt das Gan­ze mit ei­nen Hauch des Eso­te­ri­schen, der über­haupt nicht nö­tig ist, um dem, na: ei­nem mög­li­chen Prin­zip, ne­ben an­de­ren, ei­ner Aus­le­gung des Ai­ki­do nä­her zu kom­men.

Ich möch­te KI hier ein­mal mit „We­sen“ über­tra­gen. Und an­ders, als es zu­nächst an­mu­ten mag, spre­che ich hier da­mit ein sub­stan­ti­vier­tes Verb aus. Ein Verb? Ja, wirk­lich, die­ses Verb „we­sen“ gibt es, der Du­den kennt sich da ja aus:

[als le­ben­de Kraft] vor­han­den sein

Auch sei ein Blick auf die Her­kunft ge­wor­fen, um die Ähn­lich­keit, Ver­wandt­schaft mit den Be­deu­tun­gen des „気“, KI, an- und aus­zu­deu­ten:

mit­tel­hoch­deutsch we­sen, alt­hoch­deutsch we­san = sein; sich auf­hal­ten; dau­ern; ge­sche­hen, ur­sprüng­lich = ver­wei­len, woh­nen

Schon schwin­det die omi­nö­se „En­er­gie“, die­ser Be­griff, un­ter dem sich wohl je­der et­was vor­stel­len kann, und wohl kei­ner nun sa­gen kann, was ge­nau es denn sei, sub­stan­ti­ell, es­sen­ti­ell. Üben wir uns al­so auch hier im ety­mo­lo­gi­schen Spiel; das Wort En­er­gie stammt aus dem Alt­grie­chi­schen:

en­érgeia (ἐνέργεια) ‘Wirk­sam­keit, wir­ken­de Kraft’, zum Ad­jek­tiv griech. en­er­gḗs (ἐνεργής) ‘wir­kend, kräf­tig’, ei­ner Bil­dung zu griech. érgon (ἔργον) ‘Werk, Sa­che’

So gibt das »Di­gi­ta­le Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che« (DWDS) Aus­kunft. Schon ban­delt die En­er­gie mit dem We­sen an: schließ­lich ge­schieht da et­was, da, wo En­er­gie sich auf­hält, „wohnt“. Und wem nun die Ver­bin­dung zur Wirk­sam­keit fehlt, mö­ge dar­an den­ken: auch „we­sen“ ist ein Tun, wie rech­nen, spre­chen, schrei­ben, Kar­tof­feln schä­len, Feu­er­holz schlep­pen und Was­ser tra­gen. Flie­ßen­de, al­so in Be­we­gung ge­kom­me­ne, Kraft. Ver­wirk­lich­tes Po­ten­ti­al.

Wen­den wir uns dem „合“ zu, Ai, a(u), wie auch im­mer. Wie beim KI die En­er­gie, taucht für das Ai die „Har­mo­nie“ im Re­per­toire der Über­tra­gun­gen auf. Auch die­ses Wort stammt sei­ner Her­kunft nach aus dem Grie­chi­schen:

‘Wohl­klang, Über­ein­stim­mung, in­ne­re Ge­schlos­sen­heit, Eben­maß’. Lat. har­mo­nia, aus griech. har­monía (ἁρμονία) ‘Ver­bin­dung, Bund, pas­sen­des Ver­hält­nis, Über­ein­stim­mung, Ein­klang, Me­lo­die’

wie DWDS kund­tut. Wo­mit die Be­deu­tung auch auf et­was hin­weist, das un­aus­ge­spro­chen ist: Es be­darf min­des­tens zwei­er Din­ge, um ei­ne Har­mo­nie, a(u), Ai, über­haupt in die Welt brin­gen zu kön­nen. Denn es ist ja nun mal so: ei­ne Sa­che, mit sich selbst ins Ver­hält­nis ge­setzt, sagt über­haupt nichts, au­ßer, dass da et­was ist. Rech­ne­risch for­mu­liert: Das Er­geb­nis ei­nes Selbst­ver­hält­nis­ses ist im­mer 1.

Wor­auf al­so be­zieht sich nun das Ai im Tri­ple Ai/KI/DO? Na, das ist doch evi­dent, of­fen­sicht­lich, sagt der Au­gen­schein: Frei­lich hat man in Har­mo­nie mit der En­er­gie zu sein, das ist der Weg, al­so eben Ai­ki-Do. Ein fei­ner Satz, der der In­ter­pre­ta­ti­on be­darf, da­mit sich zei­gen kann, was er zu sa­gen ver­mag.

Was bei sol­cher­lei, durch­aus gän­gi­gen und mit Si­cher­heit be­rech­tig­ten Be­trach­tun­gen dann ger­ne au­ßer Acht ge­las­sen wird: das Tri­ple steht in ei­nem dy­na­mi­schen Ver­hält­nis zu­ein­an­der. Und zu­dem will der fol­gen­de Ge­dan­ke auf ei­ne Per­spek­ti­ve hin­wei­sen, die den Be­zug, den Weg, nicht in der Har­mo­nie ei­nes un­aus­ge­spro­che­nen Selbst mit ir­gend­ei­ner mys­te­riö­sen En­er­gie sieht, die die Ge­schi­cke die­ser Welt lenkt. Son­dern will da­zu an­bie­ten, den Auf­ruf zur Har­mo­nie, zur Stim­mig­keit, zwi­schen KI und DO an­zu­set­zen. Al­so, ins Schrift­bild ge­setzt: Ai-Ki­do.

Oben wur­de ja schon dar­ge­legt, dass KI hier mit „We­sen“ über­tra­gen wird. Und das DO soll nun hier in sei­nem Sin­ne als Me­tho­de auf­ge­fasst wer­den, wo sich im ei­gent­li­chen grie­chi­schen Ur­sprung „Nach­ge­hen“ der „Weg“ auf­fin­den lässt:

mé­tho­dos (μέθοδος) f. ‘nach be­stimm­ten Re­geln ge­ord­ne­tes Ver­fah­ren’, ei­gent­lich ‘das Nach­ge­hen, Ver­fol­gen, Nach­for­schen, Un­ter­su­chen’

Die Kunst in der Kampf­kunst Ai­ki­do be­stün­de al­so, so be­trach­tet, in der Har­mo­nie des We­sens mit sei­nen Me­tho­den. Gän­gig ist die In­ter­pre­ta­ti­on die Kunst (= Me­tho­de) der Har­mo­nie mit der En­er­gie. Mir ist das zu ab­ge­ho­ben, „En­er­gie“ zu un­klar, ir­gend­et­was dun­kel an­deu­tend. Und nicht zu­letzt ruft Ernst Tugendhat da­zu auf »An­thro­po­lo­gie statt Me­ta­phy­sik«3⇣Tu­gend­hat, Ernst: An­thro­po­lo­gie statt Me­ta­phy­sik, Mün­chen 2007. zu be­trei­ben.

Ein wich­ti­ger Aspekt fehlt nun hier noch, ein Vier­tes, dass das Tri­ple er­gänzt, bzw., das ist ja ei­gent­lich der Witz, durch sel­bi­ges ent­steht: das Ge­sche­hen. Wo sich We­sen tref­fen, und al­so: in ein Ver­hält­nis tre­ten, wal­tet Ge­sche­hen. Zwei Wei­sen des We­sens, al­so in Sum­ma Ge­stal­tun­gen des Ver­wei­lens, des Woh­nens (im über­tra­ge­nen Sin­ne frei­lich), der Na­tür­lich­keit, zwei For­men des be­wusst Seins, un­ter­schied­li­che Ab­sich­ten, Sor­gen, Ge­füh­le, Stim­mun­gen, u. dgl. mehr tref­fen auf­ein­an­der. Und stö­ren sich un­ter Um­stän­den, über­kreu­zen sich, ver­stri­cken sich — schon ist der Kampf da. Der Frömms­te kann nicht in Frie­den le­ben, wenn’s ei­nem Nach­barn nicht ge­fällt, rä­so­nier­te Schil­ler4⇣Wil­helm Tell IV, 3. (Tell)..

Ein „Kampf“ al­ler­dings, der leicht in Krieg aus­ar­tet, mehr oder we­ni­ger. Denn gin­ge es um ei­nen Kampf, so wä­re es das beid­sei­ti­ge Rin­gen um Har­mo­nie — denn: wer will nicht in Frie­den le­ben? Auch das, so den­ke ich, hat Karl Jaspers in die Wen­dung »lie­ben­der Kampf«5⇣Z.B.: Jas­pers, Karl: Ein­füh­rung in die Phi­lo­so­phie, München/Berlin 332019, S. 22. ge­setzt:

Kom­mu­ni­ka­ti­on nicht bloß von Ver­stand zu Ver­stand, von Geist zu Geist, son­dern von Exis­tenz zu Exis­tenz hat al­le un­per­sön­li­chen Ge­hal­te und Gel­tun­gen nur als ein Me­di­um. Recht­fer­ti­gen und An­grei­fen sind dann Mit­tel, nicht um Macht zu ge­win­nen, son­dern um sich na­he zu kom­men. Der Kampf ist ein lie­ben­der Kampf.

Das Prin­zip Ai­ki­do, das hier ver­tre­ten sein will – Ai-Ki­do
–, will sich dar­in üben, hier nun den ‚gu­ten‘ Weg zu fin­den, eben den im Ein­klang, in Stim­mig­keit mit dem ei­ge­nen We­sen. Die Fra­ge ist nun nur: Wenn We­sen und Me­tho­de sich in ei­ner Dis­har­mo­nie be­fin­den, so ist die­se mit min­des­tens ei­ner Ver­än­de­rung her­bei­ge­führt bzw. auf­zu­he­ben: Ei­ne Ver­än­de­rung des We­sens (Wittgenstein wür­de hier wohl sa­gen: der Le­bens­form) oder ei­ner Ver­än­de­rung der Me­tho­de.

Und das Schwie­ri­ge nun an die­sem Kampf, die­ser Ar­beit an und mit sich selbst: Ver­än­dert sich die Me­tho­de, ver­än­dert sich das We­sen, ver­än­dert sich das We­sen, ver­än­dert sich die Me­tho­de: Was da, bei die­ser Sicht hier, in Har­mo­nie ge­bracht wer­den will, steht in ei­ner Wech­sel­wir­kung. Wie, in ei­ne Ana­lo­gie ge­packt, bei ei­ner zwei­ar­mi­gen Waa­ge — die be­stän­dig nach Aus­gleich strebt, die­se je­doch nicht er­langt. Die Dy­na­mik, die Be­we­gung ist nicht zum Still­stand zu brin­gen, ei­ne sta­ti­sche Har­mo­nie un­mög­lich: die ‚ab­so­lu­te Har­mo­nie‘ ist im­mer ein Punkt, ein Mo­ment, das in der Dy­na­mik durch­schrit­ten, nie aber dar­auf ver­weilt wer­den kann. Die al­le­go­ri­sche Waa­ge er­starrt nicht im Gleich­ge­wicht, son­dern fällt so­gleich wie­der in ein Un­gleich­ge­wicht. Man könn­te mei­nen, sie lebt durch und vom Im­puls, der von der Ba­lan­ce aus­geht.

Es gibt al­so die­sen Punkt ab­so­lu­ter Aus­ge­gli­chen­heit — doch er ver­schwin­det in dem Mo­ment, mit dem er auf­scheint. Die­sen „Punkt“, die­ses Mo­ment, könn­te nun als ein „Zwi­schen“ auf­ge­fasst wer­den. Es ist wohl so, wie es sich auch mit der Ge­gen­wart wohl ver­hält: Sich die Fra­ge ge­stellt, wie lan­ge denn Ge­gen­wart bit­te daue­re, müss­te, re­so­lut ge­dacht, „0 Se­kun­den“ ge­ant­wor­tet wer­den: Ge­gen­wart, oder, schär­fer ins Wort ge­setzt: Jetzt, das Zwi­schen von Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft, exis­tiert nicht für sich (kann al­so nicht in ein Selbst­ver­hält­nis ge­setzt wer­den), son­dern eben nur als Zwi­schen von Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft (ist ein Kind des Ver­hält­nis­ses die­ser bei­den mensch­li­chen Tem­po­ral­quan­ti­tä­ten). Wir kön­nen die­ses Zwi­schen ver­ge­gen­wär­ti­gen und da­bei, bei­läu­fig be­merkt, sehr frei von Zu­kunft und Ver­gan­gen­heit sein, was den Ein­druck er­weckt, es mit ‚Et­was‘ zu tun zu ha­ben; doch die­ses Et­was ist qua­si leer, wes­halb wir Men­schen es ver­neh­men, in­des nicht mes­sen kön­nen wie z.B. die Luft­tem­pe­ra­tur. Wä­re un­ser Geist, un­ser We­sen, nicht zur Ver­ge­gen­wär­ti­gung fä­hig, zum Schaf­fen ei­nes ‚Jetzt‘, es gä­be für uns we­der Ver­gan­gen­heit noch Zu­kunft, und da­mit gä­be es wo­mög­lich uns selbst nicht, will mei­nen: das Be­wusst­sein un­ser Selbst.

Das Stre­ben nach Har­mo­nie, Ai, von KI und DO ist durch­aus ver­gleich­bar mit dem Stre­ben nach Weis­heit in der Phi­lo­so­phie. Ob­gleich sie nicht er­reich­bar ist – al­lein schon des­halb, weil wohl kei­ner weiß, was ge­nau das ist bzw. es für Jede/n – im Ex­trem­fall – et­was an­de­res ist, in ei­nen an­de­ren Be­griff ge­packt ist – stre­ben wir da­nach, zu­min­dest hat Jede/r prin­zi­pi­ell die Mög­lich­keit da­zu. Die Me­tho­de des Ai­KI, oder eben die Har­mo­nie des KIDO, sind Idea­le. Des­halb sind kein/e ab­so­lu­ten Meister/innen, Hei­li­ge, Gu­rus des Ai­ki-Do zu fin­den, ge­nau­so we­nig ei­ner oder ei­ne ei­nes Ai-Ki­do — wohl aber je­ne Ai­ki­do-Leh­ren­den, die schon lan­ge auf die­sem Weg sind, die­se Me­tho­de üben und da­mit Wis­sen ge­schaf­fen ha­ben. Wis­sen um Tech­ni­ken, gleich­wohl Er­fah­run­gen der Pra­xis, die nicht als Wis­sen ver­mit­telt wer­den kön­nen, da die­se Er­fah­run­gen nur von Sub­jek­ten ge­macht wer­den kön­nen. Ganz ge­nau­so, im Grun­de, wie das Stre­ben nach Weis­heit nicht nur des­halb sinn­voll ist, weil bei die­sem Stre­ben Wis­sen ent­steht, et­was iro­nisch ge­fasst: ab­fällt, son­dern auch we­gen der Le­bens­er­fah­rung, die an­fällt. Und so er­scheint dann eben auch ob der Un­er­reich­bar­keit der Weis­heit die Un­end­lich­keit des Wis­sens und die an­dau­ern­de Rät­sel­haf­tig­keit des Le­bens. Auf Ai­ki­do über­tra­gen: Der Weg fin­det kein En­de, führt nir­gend­wo hin, in das Zen­trum des Nir­gend­wo, das über­all ist.

Nur un­se­re Le­bens­span­ne be­grenzt den Weg der Su­che nach der Har­mo­nie, der Ba­lan­ce von We­sen und Me­tho­de, dem Mo­ment, und wäh­rend un­se­res We­ges ver­än­dern wir uns fort­lau­fend: Wir ler­nen uns (zu) ken­nen und wer­den doch nie wis­sen, wer wir sind. Mit Ernst Bloch:

Ich bin. Aber ich ha­be mich nicht. Dar­um wer­den wir erst.

Es gibt da­für ein Wort, nicht nur im Ai­ki­do: An­fän­ger­geist. Auf Ja­pa­nisch: Sho­shin 初心6⇣Shun­ryu Su­zu­kis sag­te da­zu: »In the beginner’s mind the­re are ma­ny pos­si­bi­li­ties, in the expert’s mind the­re are few.« … Wei­ter­le­sen….

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Re­fe­ren­ces
1 https://mpi-lingweb.shh.mpg.de/kanji/ — die im Ja­pa­ni­schen ver­wen­de­ten Schrift­zei­chen chi­ne­si­schen Ur­sprungs wer­den Kan­ji ge­nannt.
2 Witt­gen­stein, Lud­wig: Phi­lo­so­phi­sche Un­ter­su­chun­gen, §43.
3 Tu­gend­hat, Ernst: An­thro­po­lo­gie statt Me­ta­phy­sik, Mün­chen 2007.
4 Wil­helm Tell IV, 3. (Tell).
5 Z.B.: Jas­pers, Karl: Ein­füh­rung in die Phi­lo­so­phie, München/Berlin 332019, S. 22.
6 Shun­ryu Su­zu­kis sag­te da­zu: »In the beginner’s mind the­re are ma­ny pos­si­bi­li­ties, in the expert’s mind the­re are few.« https://street-philosophy.de/shoshin-anfaengergeist .

Denkzettel 68

Da wird in letz­ter Zeit viel von „neu­er Nor­ma­li­tät“ ge­re­det und man­chen mag der dräu­en­de Ver­lust ei­ner „al­ten Nor­ma­li­tät“ wie ei­ne Be­schnei­dung der Un­end­lich­keit der Mög­lich­kei­ten vor­kom­men.

Ei­ne „neue Nor­ma­li­tät“ än­dert über­haupt nichts an der Un­end­lich­keit der Mög­lich­kei­ten, eben weil sie un­end­lich sind. Sie füh­len sich nur an­ders an, das ist al­les.

Und „an­de­re Nor­ma­li­tät“ ist all­täg­li­che Nor­ma­li­tät. Denn ein Sonn­tag ist an­ders nor­mal als ein Mitt­woch.

Und der/die An­de­re ist an­ders nor­mal als ich.