Anmerkung zu Giovanni Di Lorenzos Artikel „Wer reanimiert die Mitte?“ | ZEIT № 9/2018 (Print)
Erst wo ein links und rechts ‑oder, unpolitisch: oben und unten, vorne und hinten, vorher und nachher- kann es überhaupt eine Mitte geben. Fallen rechts und links ineinander, verschwindet nicht nur der Deutschen liebstes, wohl nicht nur politisches Kind: Die beruhigte und beruhigende Mitte. Normal, halt.
Das Fundament der Demokratie ist nicht die Mitte, es ist die Wechselwirkung von Position und Opposition, die eine Mitte eben überhaupt erst entstehen lässt.
Die AfD ist keine Opposition, sie ist ein Symptom einer lädierten Demokratie. Zumindest jedoch eines demokratischen Un‑, Miss- oder auch Alternativverständnisses — wie es die Umfragewerte der SPD wohl auch indizieren mögen. Ramponiert, weil CDU&CSU&SPD ‑oder sollte man sagen: die CSPU- in der behaglichen und bequemen Mitte sein und aus ihr heraus unbehelligt regieren will — statt diese für die Bürgerschaft zu eröffnen, für die es wohl ein Sehnsuchtsort ist. So wie jetzt und in den letzten Jahren wird sie, die Mitte, durch die Weise der Politik besetzt. Sie wird in ihrer vermittelnden Funktion im Spiel der Vektoren demokratischer Kraft ‑oder, allgemeiner: der Kraft des Wandels, womit und wodurch sie ihren Weg findet- blockiert.
Die Mitte gehört der Bürgerschaft, nicht der Politik, und sie ist allein durch die Bürgerschaft vertretbar: Tätige Demokratie.
Also schafft sich die Wählerschaft ‑zumindest versucht sie sich darin und sieht dabei leider viel zu kurz- durch die Wahl von Extremen wieder eine Mitte, erobert sie sich zurück. In der sie sich wohl fühlen kann, während um dieses Auge der Sturm aus These und Antithese, aus Position und Opposition, aus öffentlicher Diskussion, parlamentarischer Debatte, medialem Diskurs über Für und Wider fegt und das Land und dessen Gesellschaft wie auch die ‑nicht nur politische- Kultur mit sich nimmt, sie entwickelt und entfaltet.
Die Metapher des ziehenden Sturms zeigt auch: Die Mitte ist eine Sphäre, die sich bewegt und deren Kurs sich ergibt. So dieser Nexus, dieser Nabel, diese Nabe in Ruhe gelassen wird, nicht besetzt und damit zu kontrollieren versucht wird. Sie leer und damit frei gelassen wird. Sie nicht nach links oder rechts, vorwärts oder rückwärts zu bestimmen versucht wird. Wenn ihr einfach Raum gegeben wird, in dem es sich gut leben lässt, während der Weltenlauf seinen Gang nimmt. Der von einem sicheren Ort aus verfolgt werden kann. Über den sich hie und da aufregt und geärgert werden kann. Sich hin und wieder an ihm erfreut oder er als lächerlich befunden und abgetan werden kann. Über den sich zuweilen auch geängstigt wird. Und der, selten zwar, sogar Mut machen kann.
Der aber nie stillsteht. Wie man selbst in der Mitte nie da bleibt, wo man war. Sondern immer mitgenommen wird vom Rad der Geschichte und Geschichten.