Eine kleine Etymogelei. Über das Unbestimmte.
„novem“, lat. Zahlwort „neun“ und auch 1. Person Singular Präsens Konjunktiv Aktiv zu Infinitiv „novare“: „ich erneuere“.
Weshalb dann der November als ‚Trauermonat‘? Des Nebels wegen? Dieser Nebel, Sinnbild der Zukunft als solcher: Ungewiss, ungeschrieben, unklar, unbestimmt. Unentborgen.
Das Neue hat eine Eigenschaft, die vielleicht in unserer wachstumsorientierten Gesellschaft nicht wahrgenommen werden will, weil es Wachstum relativiert, ja sogar fast zu einer Nulllinie macht: Wo Neues entsteht (also ins Laufen kommt, „ent-“ wie in „entsteint“, das Ende des Stehens, dessen, was ist, bezeichnend), geht alt Gewordenes, ‚verwest‘1⇣„ver-“: drückt in Bildungen mit Verben aus, dass eine Sache durch etw. (ein Tun) beseitigt, verbraucht wird, nicht mehr besteht.„wesen“ … Weiterlesen…. Wo Neues entsteht, schwindet der Nebel: er wird gewandelt; aus Potentialitäten wird eine Realität. Blicken wir zurück, ist dort kein Nebel. Der liegt immer vor uns.
Es ist wahr, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den andern Satz: dass vorwärts gelebt werden muss.
Søren Kierkegaard
Diese Welt ist ein Umschlagplatz. Und das, was wir so gern als Wachstum mit einer Kurve an die Tafel zeichnen, wird deshalb konstant bleiben, in Summa. Weil es kein Wachsen anzeigt, sondern den Umschlag, den Wechsel. Mal schneller, mal langsamer; mal mehr, mal weniger.
Und nichts in dieser Welt ist so dauerhaft wie der Wandel: eine wohl ewige Konstante, dieser, an sich, als solcher; eine Qualität, die in unterschiedlichen Quantitäten für uns in Erscheinung tritt. Und Trauer, dies sei angemerkt, kann auch gelesen werden als Aufforderung, sich [etwas] zu[ ][zu]trauen. Sich zu: Verwandeln.
Doch ohne Nebel als „Masse“ ist nichts mehr da, was gewandelt werden könnte. Eine Welt ohne unbestimmte Potentiale kann keine Realität hervorbringen.
Keinen orientierenden Horizont. In einer Welt ohne Unbestimmtheit kann nicht gelebt werden. Und damit auch nicht: verstanden werden.
⇡1 | „ver-“: drückt in Bildungen mit Verben aus, dass eine Sache durch etw. (ein Tun) beseitigt, verbraucht wird, nicht mehr besteht. „wesen“ Verb: (als lebende Kraft) vorhanden sein. Quelle: dwds.de |
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