Denkzettel 393

Sit­ten und Ge­bräu­che, die in ih­rer Form er­star­ren und nicht mehr un­ter­schied­li­che, in viel­fäl­ti­gen Hin­sich­ten mo­der­ne, Ge­stal­tun­gen aus ih­rer Form ge­win­nen und in die­sem Sin­ne mo­de­rat in Er­schei­nung tre­ten kön­nen, sind kei­ne be­wah­ren­den Tra­di­tio­nen mehr, son­dern re­ak­tio­nä­re Ideologien.
(Zur Er­läu­te­rung: a² + b² = c² ist ei­ne Form, das recht­win­ke­li­ge Drei­eck mit a = 2cm, b = 5cm ei­ne Ge­stalt die­ser Form. Die Drei­ecks­ge­stal­ten auf (ein­zig) „wah­re“ Drei­ecke (oder gar auf nur ein „ein­zig wah­res“ Drei­eck) re­du­zie­ren zu wol­len ist re­ak­tio­nä­re Ideologie.)

Denkzettel 379

Es geht nicht dar­um, ob z.B. der Uni­ver­sa­lis­mus wahr ist oder falsch. Es geht dar­um, wel­che vor­stell­ba­ren Wirklichkeit(en) Ideen über die Welt er­zeu­gen und ob sie wün­schens­wert sind — wor­über sich die Men­schen nun eben nicht ei­nig sind und Ar­gu­men­te tau­schen wie auf ei­nem Bör­sen­platz. Ent­spre­chend hoch oder nied­rig ist der Kurs ei­nes Weltverständnisses.

(Und wie meh­re­re Ak­ti­en an ei­nem Bör­sen­platz (und es gibt nicht nur ei­nen) ge­han­delt wer­den, gibt es auch meh­re­re Welt­ver­ständ­nis­se an meh­re­ren Or­ten mit je un­ter­schied­li­chen ak­tu­el­len Kursen.)

Denkzettel 363

Was das Ske­lett der Wahr­heit zu­sam­men­hält und be­weg­lich macht, ist die Wirk­lich­keit des Flei­sches. Rei­ne Lo­gik, blo­ße Wahr­heit, kommt ei­nem Kno­chen­hau­fen gleich wie wahr­heits­lo­se Wirk­lich­keit ei­nem nas­sen Sack in der Ecke äh­nelt. Erst das Bei­sam­men­sein bei­der lässt ei­ne be­weg­li­che Ge­stalt erscheinen.

Denkzettel 350

No­bel geht die Welt zugrunde/zu Grunde.

Das will hier mei­nen: Es gibt dem Men­schen No­bi­li­tät, dass die­ser sei­ner Welt auf den na­tür­li­chen Grund ge­hen (in­so­fern es nur ei­nen sol­chen gibt) und zu­gleich sich über de­ren kul­tür­li­chen Grün­de zer­ge­hen kann. Viel­leicht gä­be es we­ni­ger Zank, wenn es vie­le na­tu­rel­le Grün­de, in­des nur ei­nen kul­tu­rel­len Grund gäbe.

Denkzettel 345

Es gibt ei­ne Wahr­heit der Wahr­hei­ten und ei­ne Wirk­lich­keit der Wirk­lich­kei­ten. ‚Die‘ Wahr­heit und ‚die‘ Wirk­lich­keit sind in­des Kon­struk­te und im Sin­ne des all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauchs nur dann gül­tig, wenn das n der Wahr­hei­ten, Wirk­lich­kei­ten, gleich je eins ist.

Denkzettel 331

Das Wah­re, Gu­te, Schö­ne wie auch das Bö­se und an­de­res mehr exis­tie­ren le­dig­lich als Kon­zep­te in un­se­ren Köp­fen; es sind kei­ne on­to­lo­gi­schen En­ti­tä­ten wie Bäu­me, Stei­ne, Blu­men­kü­bel. Und so gibt es nichts Wah­res, Gu­tes, Schö­nes, Bö­ses etc. Was wir hin­ge­gen em­pi­risch be­ob­ach­ten kön­nen ist Wahr­ar­tig­keit, Gut­ar­tig­keit, Schön­ar­tig­keit, Bös­ar­tig­keit. etc. (oder auch sol­cher­lei ‑haf­tig­kei­ten).

Wie nun ein Ver­hal­ten oder Han­deln ka­te­go­ri­siert wird, hängt dann eben vom Kon­zept ab — und ab­so­lu­te, uni­ver­sel­le Kon­zep­te gibt es nicht. Denn dann wä­ren es on­to­lo­gi­sche En­ti­tä­ten. Wie Gartenstühle.

(Die Kon­zep­te könn­te man als Qua­li­tä­ten bezeichnen.)