Denkzettel 393

Sit­ten und Ge­bräu­che, die in ih­rer Form er­star­ren und nicht mehr un­ter­schied­li­che, in viel­fäl­ti­gen Hin­sich­ten mo­der­ne, Ge­stal­tun­gen aus ih­rer Form ge­win­nen und in die­sem Sin­ne mo­de­rat in Er­schei­nung tre­ten kön­nen, sind kei­ne be­wah­ren­den Tra­di­tio­nen mehr, son­dern re­ak­tio­nä­re Ideo­lo­gien.
(Zur Er­läu­te­rung: a² + b² = c² ist ei­ne Form, das recht­win­ke­li­ge Drei­eck mit a = 2cm, b = 5cm ei­ne Ge­stalt die­ser Form. Die Drei­ecks­ge­stal­ten auf (ein­zig) „wah­re“ Drei­ecke (oder gar auf nur ein „ein­zig wah­res“ Drei­eck) re­du­zie­ren zu wol­len ist re­ak­tio­nä­re Ideo­lo­gie.)

Denkzettel 132

Iden­ti­täts­po­li­tik ist der wohl im­mer zum Schei­tern ver­ur­teil­te Ver­such, es Je­dem und Je­der recht ma­chen zu wol­len. Und ei­gent­lich ist das Wort Un­sinn: ei­ne Iden­ti­tät, ei­ne Un­ver­wech­sel­bar­keit, die Ein­zig­ar­tig­keit er­gibt sich aus der in­di­vi­du­el­len Kom­bi­na­ti­on vie­ler dis­kri­mi­nier­ba­rer Merk­ma­le. Ei­ne sol­che Po­li­tik wä­re ei­ne Po­li­tik für jede/n Einzelne/n. Al­so gar kei­ne Po­li­tik, son­dern die Be­frie­di­gung der Egos, „Ego­tik“, so­zu­sa­gen. Das Wort soll­te lau­ten: Ideo­lo­gie­po­li­tik. (Was als Pleo­nas­mus an­ge­se­hen wer­den könn­te.)

(Was al­les nicht ver­dun­keln soll, dass es je­de Men­ge Min­der­hei­ten gibt, die sich nicht ge­se­hen füh­len und mit Recht auf sich auf­merk­sam zu ma­chen su­chen. Denn im Grun­de be­steht die Welt ja aus Min­der­hei­ten — sie sind in der Mehr­heit.)