Die Versuchung der Unerkennbarkeit.
Wenn ich in diesen Tagen so manchmal durch die Stadt laufe – freilich nur aus und mit triftigem Grund – fallen mir Menschen mit Masken auf. So weit, so wenig überraschend. Genauso fallen mir jene Mitläufer:innen ohne auf. Und soweit ich das bisher beobachten konnte, überwiegen die nicht-maskierten.
Das fordert mich zum Nachdenken über’s Maskentragen auf. Als erstes fiel mir der Karneval ein, eine Zeit, in der sich hinter Masken versteckt wird, um dem Einen oder der Andern „da oben“ mal so richtig die Meinung geigen zu können, oder um sich einfach mal als jemand anderer zu fühlen. Freilich ist das nicht das Anliegen der derzeitigen Maskerade. Doch der Aspekt des Versteckens gibt mir doch zu denken.
Einmal im Netz recherchiert, fand ich eine kurze Stellungnahme¹ der „Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT)“ – wohl anerkannt kompetent für die Situation – zu dem wissenschaftlichen Stand in Sachen Mund-Nasen-Schutz. Demnach halten diese MNS-Masken 94% von Influenzaviren zurück, N95-Atemschutzmasken 99%, »jedoch bei inkorrekter Nutzung (nicht festsitzend, sondern locker) beide weniger als 70%«. Stoffmasken, so ist zu lesen, stellen keinen Ersatz von MNS-Masken dar, auch nicht in nicht-Pandemiezeiten. Dennoch können sie alternativ verwendet werden und fangen 71% aller Partikel ab, »jene der Größe 0.65 – 1.1 µm 79%,« (Coronaviren, sagt die Wikipedia², haben eine Größe von 0.06 bis 0.14 µm), »MNS-Masken im Vergleich dazu 86% respektive 85%.« Und weiter: »Stoffmasken können 60% virusgroßer Partikel filtern, chirurgische Masken 78.6% und FFP2-Masken 98.9%«.
Es gibt ja so manche Leute, die sagen, in diesen Zeiten ohne Maske durch die Gegend zu laufen sei, nun ja, bedenklich. Die Regierung empfiehlt’s ja schließlich auch, dringend, wie wohl verlautbart wurde.
Nun, eine Wirkung des Tragens einer Maske um sich und andere, heroisch formuliert: andere und sich, zu schützen, kann wohl nicht von der Hand gewiesen werden, sie tragen da schon das Ihrige bei. Doch bevor die Pflicht dazu aufkommt statt der eigenverantwortlichen Nutzung durch die Bürger:innen, will doch auch eindringlich daran erinnert sein, das Mensch Mensch ist und sich so allerlei zusammenreimen kann. Letztlich ist das Tragen von Masken zwar ein Schutz, je nach Qualität unterschiedlich, doch eine Gewähr für irgendetwas sind sie nicht. Und soweit meine Beobachtungen in der Stadt reichen – die keinesfalls wissenschaftlichen Standards genügen können oder wollen – zeigt sich mir da schon das Versteckspiel: „Wenn Du mich nicht erkennst, erkenne ich Dich auch nicht, und Du lässt mich in Ruhe.“ spinne ich ein Gespräch zwischen einer/m Maskenträger:in und einer/m Vertreter:in des krass grassierenden Virus zusammen. „Wann’d mänscht…“ höre ich Herrn oder Frau Virus antworten, mit so einem etwas sarkastisch lächelndem Zug um die Lippen. (Wie man sich als Mensch halt Viren so vorstellt.)
Ich möchte es so halten: Je näher ich Menschen im öffentlichen Raum komme, desto besser sollte ich geschützt sein, auch um andere zu schützen. Doch das Sicherste ist es doch wohl, Abstand zu wahren. Denn das Virus überträgt sich nun einmal am besten bei körperlicher Nähe, Schutzmaske hin oder her, in welcher Qualität auch immer. Auch die bestgeschütztesten Medizin- und Pflegearbeiter:innen sind letztlich nicht vor einer Übertragung gefeit und das niedrigere Risiko durch qualitativ hochwertige Schutzausrüstung wird doch durch die für die zu erfüllenden Aufgaben erforderliche körperliche Nähe wieder sehr relativiert, denke ich mir.
Mit einer Maskenpflicht besteht doch wohl die Versuchung, geht der Gedanke weiter, dass das Abstandsgebot nicht mehr so sehr beachtet wird. Mithin das aufeinander Achten – zu dem wir jetzt natürlicherweise veranlasst sind und es so vielleicht überhaupt erst einmal als ein begreifbares, anschauliches Etwas im Bewusstsein auftaucht – darunter leidet. Mensch zieht sich hinter seine und ihre Maske zurück, versteckt sich gleichsam, und geht ungerührt der Anwesenheit anderer ruhig und in der trügerischen Gewissheit von Sicherheit seinen und ihren Geschäften nach.
Doch die Pflicht wird wohl kommen, und sei es nur als politisches Symbol der Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit oder auch, mithin, des Sicherheit schenkens. Vor allen Dingen der Wirtschaft wegen, gleichwohl nicht nur, auch des Sozialen wegen. Mit einer solchen Pflicht fühle ich mich allerdings, welch schönes Bild: bevormundet. Ich halte Abstand und wenn vor der Käsetheke allzu viel los ist und die Maskierten, sich in Sicherheit wiegend, relativ dicht gedrängt stehen, lasse und gebe ich mir die Zeit und warte, bis die Reihen sich gelichtet haben und ich der respekt- und verantwortungsvollen Abstandswahrung halbwegs sicher sein kann.
Ich halte eine solche abstandnehmende Freundlichkeit für weitaus hilfreicher als die nähegebende Freundlichkeit, die so mancher und manchem das Tragen einer Maske vermitteln mag. Und ich bedauere schon jetzt, wenn in nach-Pandemiezeiten (was markiert eigentlich das Ende?) die Menschen wieder hinter ihre unsichtbaren Masken, die Personen, die sie sein wollen, zurückfallen und das mehr oder weniger rücksichtslose und ich-zentrierte Treiben wie vor Corona-Zeiten wieder an Fahrt aufnimmt. Wenn wieder alles normal ist, halt.
Vielleicht irre ich mich ja, soll ja auch menschlich sein, und die Normalität, die ich kannte, wird nicht mehr sein. Und das Wort „Achtsamkeit“ bekommt auch hierzulande allgemein jene Bedeutung, wie sie in ostasiatischen Kreisen unter einigen, sehr freundlichen und rücksichtsvollen Menschen, wohl gebräuchlich ist, meinem Verständnis nach. Das wäre für mich die schönere kulturelle Ähnlichkeit mit Ostasien als das Tragen von Masken.
Nun, mal sehen. Mensch soll ja zu allerhand fähig sein, auch über Kulturen hinweg.
- ¹ http://www.oeginfekt.at/download/oegit-stellungnahme_mns.pdf|21.4.2020 – 18:00
- ² https://de.wikipedia.org/wiki/SARS-CoV‑2#Morphologie|21.4.2020 – 18:00