Versuch einer kurzen Mediation zwischen Rationalität und Irrationalität.
Vielleicht ist es ja nicht das Schlechteste, wenn die Rationalität der Irrationalität einen Rahmen gibt, einen Raum, ein Geviert schenkt. Wie es schon seit langem in Delphi geschrieben steht: μηδὲν ἄγαν (meden agan, „nichts im Übermaß“). Die Form, das Formale, würde dann einem an sich konturlosen, überschießenden Inhalt die Möglichkeit zur Gestaltung eröffnen.
Das Rationale vermag das Irrationale zu begrenzen, nicht indes zu vernichten. Die Rationalität so einmal als der äußere Rand des Irrationalen gedacht. Mithin die Rationalität eine Ausgeburt, eine kalte Erstarrung eines heißen, brodelnden, eruptiven irrationalen Stroms. Die Vulkanier lassen grüßen!
Aus der Erfahrung. — Die Unvernunft einer Sache ist kein Grund gegen ihr Dasein, vielmehr eine Bedingung desselben.Friedrich Nietzsche
Zugleich hat die Irrationalität den Rahmen zu sprengen, sich keiner Form zu unterwerfen. Aus einer solchen Wechselwirkung entsteht Dynamik — relationale Vernunft. (Und nicht rationaler Verstand, worauf Nietzsche sich wohl bezog.)
Die dann weder dem Verstand noch dem Gemüt einen Vorrang gewährt. Sondern eben so wirkt, dass eine Balance ermöglicht wird, die in Bewegung gründet und nicht in Starre.
Ob nun die Form, das Formale, aus Logik, Mathematik, Ritus oder Kunst besteht, bleibt sich dann gleich: Es ist erkaltete Irrationalität.
Und Philosophie könnte nun als Arbeit der Erkaltung angesehen werden. Das Pusten auf die Irrationalität, auf dass sie eine Form fände und begreifbar werden möchte, vermittels der Rationalität. Es könnte allerdings auch als das Vorwagen in den heißen, brodelnden Schlund verstanden werden, auf ein Entgegenkommen des Quells all der Hitze zu.
Bei Ersterem zeigt sich die Philosophie wohl als eine Wissenschaft, bei Letzterem als eine Kunst. Im Ersteren zeigt sich der Mensch als ein animal rationale und homo faber, als (be)rechnender Mensch, im Letzteren als ein animal irrationale und homo artifex, als (er)schaffender Mensch.
Und treten nun beide in eine Wechselwirkung, gegenseitig das Übermaß des anderen verhütend, zeigt sich die Selbsterkenntnis im stimmigen Maß.
In eine Wechselwirkung, den Brüdern Apollon und Dionysos vielleicht gleich, die beide verschränkt. Ihr Verhältnis als Beziehung vitalisierend. Die das Übermaß, welches die Erkenntnis des Selbst zu verschleiern vermag, begrenzt. Eine notwendige Begrenzung, womit jeder für sich überfordert wäre.
Philosophie dann, so einmal in Szene gesetzt, weder Wissenschaft noch Kunst und auch nicht sowohl das Eine als auch das Andere. Wohl indes dann jenes, welches zwischen beiden ist und uns als Vernunft vernehmbar wird. Reine, eiskalte Wissenschaft ist genauso zum Untergang verdammt wie reine, überhitzige Kunst. Verstand und Gemüt bleiben ohne Vernunft für sich allein und gehen an ihrem Übermaß ein. Der Einsamkeit wegen.
Erst das Miteinander, Durcheinander, das Verwickelt sein, Involviert sein, zeitigt den Funken der Vernunft. Um beide notwendige Weisen des humanen Daseins zu vermitteln, im ständigen Fluss zu halten. Um eine Welt vernehmbar zu machen.