Aus gegebenen Anlass: Eine Einlassung.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den unten verlinkten Artikel »Therapie durch Philosophie« in DIE ZEIT №24 vom 6. Juni 2019.
Als einer derjenigen, die seit geraumer Zeit eine Philosophische Praxis (PP) führen, kann ich den Artikel nicht unkommentiert lassen. Zu undefiniert ist das Berufsfeld, als dass eine einzelne Sicht das Feld dominieren könnte und somit die Deutungshoheit über einen im Grunde nicht klärbaren Begriff Philosophischer Praxis allein einigen wenigen überlassen wird.
Der Text erscheint mir tendenziös, zu einer „Business-PP“ hin. Dieses Feld wird allerdings bereits durch die Personal- & Organisationsentwicklung (PE/OE) bespielt, wozu es auch zahlreiche Qualifizierungen auf privatwirtschaftlicher wie universitärer Basis gibt. Der Text beschreibt in weiten Teilen die Tätigkeit eines wirtschaftlichen Akteurs mit absolvierten Philosophiestudium, der im Geschäftsbereich PE/OE in Unternehmen zum Einsatz kommt. Einem Bereich, in dem überwiegend Psychologen, aber auch Theologen, Philosophen und andere Geisteswissenschaftler tätig sind.
PP als eine ‚andere‘ PE/OE hinzustellen, ist unsinnig; denn das eröffnet eine unnötige und völlig überflüssige Konkurrenz in einem Feld, das für viele Geisteswissenschaftler/innen als anregendes Betätigungsfeld innerhalb von Unternehmen mit lukrativen Gehaltsstrukturen angesehen werden kann.
Als einer derjenigen, die eine Philosophische Praxis führen, vertrete ich eine Position, nach der sich PP immer an den einzelnen Menschen wenden sollte, nicht an Rollen in Unternehmen, die durch Menschen erfüllt werden. Beratungen der Rollen oder gar ganzer Unternehmen möchte ich von einer Philosophischen Praxis, wie sie wohl ein Gerd Achenbach 1981 mit der Eröffnung der ersten Philosophischen Praxis in Deutschland angedacht hat, differenzieren.
Nun kann allerdings jeder Einsatz der Philosophie als Mittel eben als eine philosophische Praxis angesehen werden. So kann beispielsweise von einer akademischen philosophischen Praxis, einer kommerziellen philosophischen Praxis und einer privaten philosophischen Praxis gesprochen werden. Alle drei Formen von philosophischen Praktiken Philosophischer Praxis streben freilich an, durch die Ausübung von Tätigkeiten mit philosophischem Bezug gut leben zu können, sind also in diesem Sinnen alle kommerziell. Der Terminus „kommerzielle philosophische Praxis“ soll in dieser Aufzählung schlicht den Einsatz philosophischen Wissens im Bereich der PE/OE abbilden.
Im Text erkenne ich im weiteren eine starke Betonung eines international ausgerichteten Neoliberalismus und das erweckt bei mir den Eindruck eines Rekrutierungstextes – er soll verführen, dieser Text. Dazu verführen, einen Bildungsgang oder Postgraduieren-Studiengang zu belegen und sich als Philosophischer Praktiker zu qualifizieren, damit man im globalen Business zukunftsträchtig und nachhaltig auch als Geisteswissenschaftler/in mitspielen kann und nicht abgehängt wird.
Werbetexte kommen so daher, das ist völlig normal.
Des Weiteren regt mich der Text dazu an, strikt zwischen ‚philosophischem Wissen‘ (hier: als der Umstand des Kennens von Philosophien und deren instrumenteller Einsatz) und ‚Weisheit‘ (hier: die Tätigkeit des Philosophierens als solcher) zu unterscheiden.
Objektive Analyse
Soweit das qualitative, subjektive Fazit. Wie sieht es quantitativ, objektiv aus? Die vorgenommene Objektivierung ist freilich durch ein Subjekt erfolgt und gestaltet sich methodisch derart, dass der Online-Text absatzweise in fünf Themenbereiche aufgeschlüsselt wurde und in diesen Bereichen eine Wortzählung vorgenommen wurde. Auf Grundlage dieser Methode zeigt die vorgenommene Einordnung in die Themenbereiche I‑V ein anderes Bild: PP im Allgemeinen liegt bei 23%, PP im privaten Kontext bei 39%, PP im geschäftlichen Kontext zeigt „nur“ 27%, so der Mischbereich IV hälftig aufgeteilt wird. Der Text ist gerahmt von 11% allgemeinen Text, der nicht direkt zu einem Thema zugeordnet wurde (Einleitung/Schluss).
Es zeigt sich also hier ein durchaus ausgewogener Inhalt, sogar mit einer Tendenz zur privaten philosophischen Praxis – ein/e andere/r Leser/in kann also wohl durchaus auch einen anderen Eindruck des Textes erhalten als der Autor dieses Resümees subjektiv als Lektüreerlebnis erfahren hat.
Kommentierung aus Sicht eines weiteren Akteurs
Für das Folgende gilt, und dies kann nicht oft genug betont werden: Es ist mein Verständnis Philosophischer Praxis, nicht eine Beschreibung der Philosophischen Praxis. Die gibt es m.b.M.n. nicht, sie kann es nicht geben und das ist auch gut so. Denn genau das macht diese Arbeit philosophisch: Das Verhalten müssen zu etwas Unverfügbaren, Unbestimmbaren, Unklarem.
Was der Artikel – dessen Existenz grundsätzlich erfreulich ist, vermag er doch PP in’s öffentliche Gespräch zu bringen – nicht ahnen lässt: Das Führen einer Philosophischen Praxis ist eine recht individuelle Angelegenheit und ich vertrete hier meine Ansicht, dass es keine Ausbildung zum/r ‚Philosophischen Praktiker/in‘ geben kann: Die Bildung eines Menschen beginnt nicht erst in der Schule und hört gewiss nicht mit einem Titel, ‚Abschluss‘ auf. Philosophische Praxis ist auch für die diesen Beruf ausübenden ein ständiges Einlassen darauf, nachher möglicherweise anders zu denken als man es noch vorhin tat. Philosophische Praxis in diesem Verständnis ausgeübt, ist eine Wechselwirkung der Bildung zwischen Gast und Praktiker/in. Das darf nie vergessen werden, geht es an’s Eingemachte und damit die Sache des Geldes. Ein PP ist immer auch Profiteur seiner Beratungen.
Hier kann nun die Frage aufgeworfen werden: „Wenn dem so ist, wieso sollte ich als Gast denn dann zahlen? Im Grunde hat der PP mich zu bezahlen!“
Nun, diese Haltung mag gerade bei einem „weichen“ Angebot wie PP, die kein Produkt verkauft, sondern einen Prozess begleitet, verführerisch sein. Gab und gibt es denn nicht die Priester und Pastor/innen, die für diese Tätigkeit in gleicher Weise geeignet sind. Die kosten ja auch nichts!
Verkannt wird hierbei, das diese Theolog/innen über eine Kirche bezahlt werden, die ihre Einnahmen, mit denen sie ihre Angestellten bezahlt, auch aus Steuergeldern gestaltet. Es ist also keineswegs so, dass es nichts kosten würde – der monetäre Beitrag verschwindet nur in einem Konvolut allgemein geleisteter Beiträge.
Als letztes Argument: Wenn Sie, werte/r Leser/in dieser Zeilen, sich über den geringen Zug im Kamin beklagen und den Kaminfeger holen, können Sie ja nun schlecht zu ihr/ihm sagen: „Durch diesen Auftrag lernen Sie ja was dazu! Also haben sie mich zu bezahlen!“ Jede Arbeit, ja: jedwede Tätigkeit, die wir verrichten, erweitert unseren Erfahrungshorizont. In einer idealen Welt zahlte der Eine der Anderen und umgekehrt, die gegenseitig gestellten Rechnungen gehen letztlich in Null auf. In unserer realen Welt mit ihrem Geldfluss bekommen Sie, werte Kund(ig)en (w/d/m), von einer anderen Seite ihr Geld für ihre Arbeit, an und mit der sie wachsen.
Das Thema Geld und damit letztlich „leben können von PP“ ist bei weitem nicht so einfach, wie der Artikel es der einen oder dem anderen vermitteln könnte. Es ist noch viel Öffentlichkeits– und kollegiale Klärungsarbeit von allen Akteuren gefragt, bis PP den Rang nicht einer alternativen Therapie, sondern einer Alternative zur Therapie (Thomas Polednitschek) erlangt hat und soviel Akzeptanz und Interesse erfährt, dass mit der Eröffnung einer Praxis ein gutes Leben geführt werden kann und dieser Sachverhalt keine Ausnahme mehr darstellt. Zumindest was die materielle, also monetäre, Seite der Lebensführung angeht. Sich derzeit auf PP einzulassen bedeutet, Pionierarbeit zu leisten. Mit allen Risiken, die damit verbunden sind. Das sollte stets bedacht und einkalkuliert werden, entscheidet man sich für den Beruf einer/s philosophisch Praktizierenden, praktizierenden Philosophen/in, Philosophischen Praktikers/in und geht nicht nur einer Berufung nach. Aus meiner Sicht empfiehlt es sich derzeit, für das nötige Auskommen gesorgt zu haben (z.B. in Form eines Teilzeit-Nebenberufes).
Auf der ideellen Seite übe ich mich mit philosophischer Praxis darin, mein Leben gut zu führen, denn wie nicht nur Arnold Gehlen, seines Zeichens ein Vertreter der Philosophischen Anthropologie, anführte, haben Tiere ein Leben, Menschen aber eines zu führen. Die reflektierten Erfahrungen, also die Ein‑, An- und Umsichten, die ich in dieser meiner so philosophischen Arbeit generiere, gebe ich an meine Kunden – die für mich stets Kundige in eigener Sache sind – weiter und stelle sie in meiner Philosophischen Praxis als Referenz für das eigene Denken zur Verfügung. Und zwar live: Von Angesicht zu Angesicht.
Die Grundlage meiner Beratungen – Beratung meint hier nicht Rat geben, sondern die gemeinsame Beratung eines Sachverhaltes – in philosophischer Praxis, also in einer philosophischen Art & Weise, bilden die eigenen Lebenserfahrungen, die Lektüre philosophischer Texte jedweder Couleur sowie ein unbedingter Wille, größtmögliche Klarheit in Sachverhalte zu bringen. Ein durchaus schwieriges Unterfangen, an das sich nicht nur ein Ludwig Wittgenstein herangewagt hat. Als Denker/in steht man immer auf den Schultern größerer Köpfe. (Zuweilen auch viel größerer. Zwergenhaftigkeit darf eine/n Intellektuelle/n nicht abschrecken.)
Was meine Kundschaft mit dieser Klarheit dann macht, ob sie sie therapeutisch nutzt, nutzt, um Ziele zu erreichen oder sich damit tröstet, obliegt nicht mehr meiner Verantwortung. So ist eine Erwartung, in meine Praxis zur Beratung
zu kommen und mit einer Antwort nach Hause zu gehen, die unpassende.
Die Frage sollte klarer geworden sein. Dann habe ich meine Kundigkeit meinem Kunden weitergegeben. Und dafür, und vor allen Dingen für die Zeit, die ich gegeben habe, werde ich honoriert.