Andreas Weber: Indigenialität. Ein paar Gedanken zu etwas zutiefst Menschlichem.
Als Rezension zu u.g. Buch des Dr. phil. und als Schriftsteller und Journalist sowie als Hochschuldozent tätigen Autors Andreas Weber kann dieser Beitrag wohl nicht angesehen werden. Vielmehr ist er ein Protokoll eines Gedankenganges, zu dem die Lektüre des Textes angeregt hat.
Den Inhalt des Buches möchte ich gerne mit „Was Sie schon immer über Weisheit wissen wollten, aber nie zu fragen wagten.“ illustrierend zusammenfassen. Das Buch kam mir manchmal etwas arg panpsychistisch, irgendwie weltfremd, irgendwie esoterisch, vielleicht für manche auch schlichtweg kindisch, daher. Und so hatte ich mich in diesen Momenten zu erinnern, dass es der Mensch ist, der den Dingen Psyche, Seele, Subjektivität, also Innerlichkeit, zu geben vermag und diese selbst sie nicht haben müssen. Daran ist nichts falsch, genauso wenig wie daran etwas nur richtig ist. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines solchen Denkens, einer solchen Weltanschauung, einer solchen Haltung, ist zu stellen.
Die Antwort auf eine solche Frage ist eine ökologische und keine ökonomische und gipfelt schließlich in der alten philosophischen Frage nach dem Glück des Menschen als Individuum genauso wie die nach dem Glück der Menschen als Spezies. Das, manch’ Glauben nun folgend, davon abhängt mit welchem Glück er über die Natur obwaltet, die ihm zu beherrschen aufgegeben wurde, die er sich zum Untertan machen solle – in den Worten des Autors könnte gesagt werden: Die zu kolonialisieren Mensch von höherer Macht beauftragt wurde. Bzw. er sich dazu berufen fühlt, sich selbst (als) höhere Macht gebend. Diese Perspektive kann ökonomisch genannt werden, die des Gegeneinanders, der Konkurrenz um Güter, der Angst vor Mangel und Tod. Die Ökologische ist die der Gegenseitigkeit, der »Gemeingüterwirtschaft«, der Freude am Genügen und am Leben.
Der Gedanke der Gegenseitigkeit des Menschen mit einer belebten Natur – wozu auch Steine zu zählen sind – durchzieht den ganzen Text. Stets machte er mich darauf aufmerksam, Natur und Kultur nicht in einer Gegnerschaft, sondern in einer Allmende, einer Versorgung auf Gegenseitigkeit basierend, zu verstehen. Kultur gehört zur menschlichen Natur, der Mensch gehört zur Natur, mithin ist Anthropo-Kultur als Natur aufzufassen. Ein für mich äußerst sympathischer Gedanke.
Der mich zum Sinnieren brachte. Inwieweit ist ein solches Gegenseitigkeitsprinzip in der Politik, namentlich dessen, was im Allgemeinen mit Demokratie bezeichnet wird, anwendbar? Verstehen wir Position und Opposition nicht mehr als eine Gegnerschaft, deren Sinn darin besteht, den anderen, die Position, zu besiegen, also mit einer generellen Kolonialisierungsidee. Sondern in einer Gegenseitigkeit, deren Sinn darin besteht, den anderen, die Position, aufzuklären. Wie sähe dann das Wechselspiel der Mächte in einer Demokratie aus?
Zunächst einmal ist der Preis der Macht, des Regierens, der Position, die der Aufklärung durch die Opposition, die achtungsvoll hinzunehmen ist. Opposition erhellt das Treiben der Regierenden und stellt somit für die Wählerschaft die Frage: „Wollt ihr das?“ Vornehmlich diese Aufgabe sollte in einer allmendierenden Demokratie die der Opposition sein. Konrad Adenauer formulierte es so:
Ich halte eine gute Opposition in einem Parlament für eine absolute Notwendigkeit; ohne eine wirklich gute Opposition entsteht Stickluft und Unfruchtbarkeit.
Willy Brandt fasste es noch kürzer:
Mehr Demokratie wagen.
Freilich gehört zu einer fruchtbaren Opposition – »Fruchtbarkeit« ist im Übrigen auch im Buch ein Wort, das mir aufgefallen ist – nicht nur zu meckern, sondern eine Alternative für dieses positionelle Tun aufzuzeigen. Und dafür zu werben, diesen anderen Weg doch zu gehen mit dem Regierungsauftrag an die aktuelle Opposition durch die Wählerschaft bei der nächsten Wahl.
Womit die Seiten gewechselt werden und nun jene, die es anders machen wollen, im Licht der Aufklärung durch die neue Opposition stehen, die vormals die Position vertraten. Oppositionsarbeit ist so nicht Mist, sondern ein Garant für die Güte des Regierens. So entsteht eine Gegenseitigkeit. Um nicht zu sagen: eine Fürsorge.
Nun sind hier Worte gefallen, »Alternative«, »diesen anderen Weg«, die die Herzen mancher Gesell*n, vornehmlich am mehr oder weniger populistischen rechten Rand, womöglich höher schlagen lassen. Die Natürlichkeit ihres Tuns nämlich als hinreichend begründet anzusehen und nun zu sagen: „Ja! Genau das machen wir ja! Das ist gesunder Menschenverstand, das ist vernünftig!“
Mitnichten.
Opposition bedeutet stets, einem wirklich anderem Konzept zu folgen, das sich aus einer anderen Haltung ergibt und so überhaupt erst einmal in die Lage versetzt zu werden, Aufklärungsarbeit zu leisten. Um es räumlich zu formulieren: Regiert eine ‚rechte‘ Weltauffassung, ist ‚rechts‘ Position, ist eine noch ‚rechtere‘ keine Opposition dazu. Eine ‚linke‘ Haltung ist dazu in Opposition zu setzen, nichts anderes, will das Wort „Opposition“ der Bedeutung, die ich ihm hier geben möchte, gerecht werden.
Versuchen wir es mit Farben, in einem gewissen Sinne das Komplementärprinzip der Gegenseitigkeit aufzeigend: Noch schwärzer, bis ins Braun fallend (was nun freilich nur etwas verdeutlichen soll), ist keine Gegenseitigkeit, sondern Einseitigkeit. Die Opposition zu schwarz, das Komplementär eben, ist weiß, in diesem Gedankengang. Und freilich gilt auch hier: Bei einer weißen Position ist das noch weißere keine Opposition, sondern eher Blendung. Wie das noch schwärzere als Verdunkelung angesehen werden kann. Beides trübt die Klarheit ein.
Der Grundgedanke einer allmendierenden Demokratie ist nicht Macht, sondern Verantwortung. Verantwortung auch dafür, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit aufrecht erhalten wird.
Eine Aufweichung dieses Prinzips, indem schwarz und weiß sich zu einem grau vereinigen, verdunkelt das Regierungsgeschehen. Die Kraft, die nun noch oppositionell wirken kann und sogar muss, will das Prinzip gerettet werden, ist die Öffentlichkeit. Die Medien, die Bürger selbst, gar. So werden jedoch die Medien und die Bürger in das Machtspiel hineingezogen und letztlich zum Gegner der Regierung, den es zu besiegen gilt. Die Medien verlieren so ihren Status, über das Geschehen in einer allmendierenden Demokratie zu berichten, auch kommentierend. Auf dass der Wählerschaft klar werden kann, ob die aktuelle Konzeption noch trägt oder durch einen Wechsel der Spielrollen das Prinzip der politischen Allmende aufzufrischen ist. In Erinnerung gerufen werden soll.
Die Medien verlieren den Status neutraler, reflektierender Beobachter, die Bürgerschaft verliert den Status der Freiheit. Weil jene, die in Position und Opposition beauftragt wurden, für eben jene Freiheit von Machtkämpfen der Bürgerschaft zu sorgen, damit diese für sich sorgen kann, versagen. Sinn der Repräsentation ist es, statt selbst kämpfen zu müssen, politische Akteure zu beauftragen, mit demokratischem Ringen Sorge für und um die Gesellschaft zu tragen. Und für die Klarheit zu sorgen, die es der Wählerschaft ermöglicht zu beurteilen, ob ein Wechsel in den Spielrollen angezeigt ist. Eine Klarheit, die dann durch die Medien ins Land getragen wird.
So entsteht ein Wechselspiel von Position und Opposition, das dann eben als Wechselwirkung Kraft entfaltet; ein Land, eine Gesellschaft, weiterbringt, ohne dass dabei die Sachthemen, z.B. Klima, Migration, sog. Digitalisierung, vernachlässigt werden. Denn sachlich, vernünftig betrachtet sind diese Probleme keine einer politischen Haltung. Sondern Fragen, die wissenschaftliches Treiben aufzuhellen vermag. Ob die Lösungen zu diesen Problemen mit weißen oder schwarzen Handschuhen angegangen werden, mit roten oder grünen, gelben oder blauen,… ist den Themen und wohl auch der Wählerschaft völlig egal: Die Gesellschaft hat sich zu diesen Problemen zu verhalten.
Nicht egal dürfte der Wählerschaft allerdings sein, mit welcher Stimmung, grundlegenden Haltung die Lösung dieser Probleme angegangen wird. Mit der Wahl von Parteien wird diese Stimmung geschaffen – so denn überhaupt Haltungen zur Wahl stehen und nicht vielmehr eine, vermeintlich konservative, so laut brüllt, dass die nicht-konservative erschrocken in einen Mutismus fällt und man so meinen könnte, es gäbe nur diese, sich rational-pragmatisch gebende, Stimme, letztendlich. Und diese dann ‚wählt‘, auch wenn man sie nicht haben will. Um mit einem solchen Protest darauf aufmerksam zu machen, dass die Stimmung, die Haltung, die die Wählerschaft sich wünscht, nicht erkennbar ist, eben nicht wählbar ist. Eine Haltung der Allmende, sichtbar durch das Angebot, Position und Opposition in einem demokratischen Parlament in ihren Rollen neu besetzen zu können.
Position und Opposition, nicht Position und Reposition. Und schon gar nicht eine ‚Mitte‘, die jegliche Position vermissen lässt und somit Opposition verunmöglicht. Politik hat auch diesen Freiraum für die Bürgerschaft zu schaffen, eine entspannte, politisch unbesetzte Mitte, aus deren neutraler Perspektive heraus das Treiben der sich allmendierenden Demokratie durch die Wählerschaft betrachtet, beurteilt und gesteuert werden kann.
Im Übrigen möchte ich abschließend noch all jene, die sich als Protestwähler verstehen, dazu aufrufen, statt fragwürdige und undurchsichtige Haltungen zur Macht zu verhelfen, ihren Wunsch nach einer freien Mitte durch die Abgabe eines sog. ungültigen Stimmzettels zu bezeugen. Ein ungültig genannter Stimmzettel heißt nicht, dass die Stimme ungültig ist, er heißt nur, dass die abgegebene und also gezählte Stimme bei der Zusammensetzung des Parlaments keine Rolle spielt.
14% ‚ungültige‘ Stimmzettel
sollten die Politik wohl daran erinnern können, dass sie aus Sicht des Souveräns an ihrem demokratischen Verständnis zu arbeiten hat.
Lit.:
Weber, Andreas: Indigenialität
Nicolai, Berlin 2018. 120 S., 20,00€
(auch als e‑Book erhältlich)