Indie-Genialität

Andreas Weber: Indigenialität. Ein paar Gedanken zu etwas zutiefst Menschlichem.

Als Re­zen­si­on zu u.g. Buch des Dr. phil. und als Schrift­stel­ler und Jour­na­list so­wie als Hoch­schul­do­zent tä­ti­gen Au­tors An­dre­as We­ber kann die­ser Bei­trag wohl nicht an­ge­se­hen wer­den. Viel­mehr ist er ein Pro­to­koll ei­nes Ge­dan­ken­gan­ges, zu dem die Lek­tü­re des Tex­tes an­ge­regt hat.

Den In­halt des Bu­ches möch­te ich ger­ne mit „Was Sie schon im­mer über Weis­heit wis­sen woll­ten, aber nie zu fra­gen wag­ten.“ il­lus­trie­rend zu­sam­men­fas­sen. Das Buch kam mir manch­mal et­was arg pan­psy­chis­tisch, ir­gend­wie welt­fremd, ir­gend­wie eso­te­risch, viel­leicht für man­che auch schlicht­weg kin­disch, da­her. Und so hat­te ich mich in die­sen Mo­men­ten zu er­in­nern, dass es der Mensch ist, der den Din­gen Psy­che, See­le, Sub­jek­ti­vi­tät, al­so In­ner­lich­keit, zu ge­ben ver­mag und die­se selbst sie nicht ha­ben müs­sen. Dar­an ist nichts falsch, ge­nau­so we­nig wie dar­an et­was nur rich­tig ist. Die Fra­ge nach der Sinn­haf­tig­keit ei­nes sol­chen Den­kens, ei­ner sol­chen Welt­an­schau­ung, ei­ner sol­chen Hal­tung, ist zu stel­len.

Die Ant­wort auf ei­ne sol­che Fra­ge ist ei­ne öko­lo­gi­sche und kei­ne öko­no­mi­sche und gip­felt schließ­lich in der al­ten phi­lo­so­phi­schen Fra­ge nach dem Glück des Men­schen als In­di­vi­du­um ge­nau­so wie die nach dem Glück der Men­schen als Spe­zi­es. Das, manch’ Glau­ben nun fol­gend, da­von ab­hängt mit wel­chem Glück er über die Na­tur ob­wal­tet, die ihm zu be­herr­schen auf­ge­ge­ben wur­de, die er sich zum Un­ter­tan ma­chen sol­le – in den Wor­ten des Au­tors könn­te ge­sagt wer­den: Die zu ko­lo­nia­li­sie­ren Mensch von hö­he­rer Macht be­auf­tragt wur­de. Bzw. er sich da­zu be­ru­fen fühlt, sich selbst (als) hö­he­re Macht ge­bend. Die­se Per­spek­ti­ve kann öko­no­misch ge­nannt wer­den, die des Ge­gen­ein­an­ders, der Kon­kur­renz um Gü­ter, der Angst vor Man­gel und Tod. Die Öko­lo­gi­sche ist die der Ge­gen­sei­tig­keit, der »Ge­mein­gü­ter­wirt­schaft«, der Freu­de am Ge­nü­gen und am Le­ben.

Der Ge­dan­ke der Ge­gen­sei­tig­keit des Men­schen mit ei­ner be­leb­ten Na­tur – wo­zu auch Stei­ne zu zäh­len sind – durch­zieht den gan­zen Text. Stets mach­te er mich dar­auf auf­merk­sam, Na­tur und Kul­tur nicht in ei­ner Geg­ner­schaft, son­dern in ei­ner All­men­de, ei­ner Ver­sor­gung auf Ge­gen­sei­tig­keit ba­sie­rend, zu ver­ste­hen. Kul­tur ge­hört zur mensch­li­chen Na­tur, der Mensch ge­hört zur Na­tur, mit­hin ist An­thro­po-Kul­tur als Na­tur auf­zu­fas­sen. Ein für mich äu­ßerst sym­pa­thi­scher Ge­dan­ke.

Der mich zum Sin­nie­ren brach­te. In­wie­weit ist ein sol­ches Ge­gen­sei­tig­keits­prin­zip in der Po­li­tik, na­ment­lich des­sen, was im All­ge­mei­nen mit De­mo­kra­tie be­zeich­net wird, an­wend­bar? Ver­ste­hen wir Po­si­ti­on und Op­po­si­ti­on nicht mehr als ei­ne Geg­ner­schaft, de­ren Sinn dar­in be­steht, den an­de­ren, die Po­si­ti­on, zu be­sie­gen, al­so mit ei­ner ge­ne­rel­len Ko­lo­nia­li­sie­rungs­idee. Son­dern in ei­ner Ge­gen­sei­tig­keit, de­ren Sinn dar­in be­steht, den an­de­ren, die Po­si­ti­on, auf­zu­klä­ren. Wie sä­he dann das Wech­sel­spiel der Mäch­te in ei­ner De­mo­kra­tie aus?

Zu­nächst ein­mal ist der Preis der Macht, des Re­gie­rens, der Po­si­ti­on, die der Auf­klä­rung durch die Op­po­si­ti­on, die ach­tungs­voll hin­zu­neh­men ist. Op­po­si­ti­on er­hellt das Trei­ben der Re­gie­ren­den und stellt so­mit für die Wäh­ler­schaft die Fra­ge: „Wollt ihr das?“ Vor­nehm­lich die­se Auf­ga­be soll­te in ei­ner all­men­die­ren­den De­mo­kra­tie die der Op­po­si­ti­on sein. Kon­rad Ade­nau­er for­mu­lier­te es so:

Ich hal­te ei­ne gu­te Op­po­si­ti­on in ei­nem Par­la­ment für ei­ne ab­so­lu­te Not­wen­dig­keit; oh­ne ei­ne wirk­lich gu­te Op­po­si­ti­on ent­steht Stick­luft und Un­frucht­bar­keit.

Wil­ly Brandt fass­te es noch kür­zer:

Mehr De­mo­kra­tie wa­gen.

Frei­lich ge­hört zu ei­ner frucht­ba­ren Op­po­si­ti­on – »Frucht­bar­keit« ist im Üb­ri­gen auch im Buch ein Wort, das mir auf­ge­fal­len ist – nicht nur zu me­ckern, son­dern ei­ne Al­ter­na­ti­ve für die­ses po­si­tio­nel­le Tun auf­zu­zei­gen. Und da­für zu wer­ben, die­sen an­de­ren Weg doch zu ge­hen mit dem Re­gie­rungs­auf­trag an die ak­tu­el­le Op­po­si­ti­on durch die Wäh­ler­schaft bei der nächs­ten Wahl.

Wo­mit die Sei­ten ge­wech­selt wer­den und nun je­ne, die es an­ders ma­chen wol­len, im Licht der Auf­klä­rung durch die neue Op­po­si­ti­on ste­hen, die vor­mals die Po­si­ti­on ver­tra­ten. Op­po­si­ti­ons­ar­beit ist so nicht Mist, son­dern ein Ga­rant für die Gü­te des Re­gie­rens. So ent­steht ei­ne Ge­gen­sei­tig­keit. Um nicht zu sa­gen: ei­ne Für­sor­ge.

Nun sind hier Wor­te ge­fal­len, »Al­ter­na­ti­ve«, »die­sen an­de­ren Weg«, die die Her­zen man­cher Gesell*n, vor­nehm­lich am mehr oder we­ni­ger po­pu­lis­ti­schen rech­ten Rand, wo­mög­lich hö­her schla­gen las­sen. Die Na­tür­lich­keit ih­res Tuns näm­lich als hin­rei­chend be­grün­det an­zu­se­hen und nun zu sa­gen: „Ja! Ge­nau das ma­chen wir ja! Das ist ge­sun­der Men­schen­ver­stand, das ist ver­nünf­tig!“

Mit­nich­ten.

Op­po­si­ti­on be­deu­tet stets, ei­nem wirk­lich an­de­rem Kon­zept zu fol­gen, das sich aus ei­ner an­de­ren Hal­tung er­gibt und so über­haupt erst ein­mal in die La­ge ver­setzt zu wer­den, Auf­klä­rungs­ar­beit zu leis­ten. Um es räum­lich zu for­mu­lie­ren: Re­giert ei­ne ‚rech­te‘ Welt­auf­fas­sung, ist ‚rechts‘ Po­si­ti­on, ist ei­ne noch ‚rech­te­re‘ kei­ne Op­po­si­ti­on da­zu. Ei­ne ‚lin­ke‘ Hal­tung ist da­zu in Op­po­si­ti­on zu set­zen, nichts an­de­res, will das Wort „Op­po­si­ti­on“ der Be­deu­tung, die ich ihm hier ge­ben möch­te, ge­recht wer­den.

Ver­su­chen wir es mit Far­ben, in ei­nem ge­wis­sen Sin­ne das Kom­ple­men­tär­prin­zip der Ge­gen­sei­tig­keit auf­zei­gend: Noch schwär­zer, bis ins Braun fal­lend (was nun frei­lich nur et­was ver­deut­li­chen soll), ist kei­ne Ge­gen­sei­tig­keit, son­dern Ein­sei­tig­keit. Die Op­po­si­ti­on zu schwarz, das Kom­ple­men­tär eben, ist weiß, in die­sem Ge­dan­ken­gang. Und frei­lich gilt auch hier: Bei ei­ner wei­ßen Po­si­ti­on ist das noch wei­ße­re kei­ne Op­po­si­ti­on, son­dern eher Blen­dung. Wie das noch schwär­z­e­re als Ver­dun­ke­lung an­ge­se­hen wer­den kann. Bei­des trübt die Klar­heit ein.

Der Grund­ge­dan­ke ei­ner all­men­die­ren­den De­mo­kra­tie ist nicht Macht, son­dern Ver­ant­wor­tung. Ver­ant­wor­tung auch da­für, dass das Prin­zip der Ge­gen­sei­tig­keit auf­recht er­hal­ten wird.

Ei­ne Auf­wei­chung die­ses Prin­zips, in­dem schwarz und weiß sich zu ei­nem grau ver­ei­ni­gen, ver­dun­kelt das Re­gie­rungs­ge­sche­hen. Die Kraft, die nun noch op­po­si­tio­nell wir­ken kann und so­gar muss, will das Prin­zip ge­ret­tet wer­den, ist die Öf­fent­lich­keit. Die Me­di­en, die Bür­ger selbst, gar. So wer­den je­doch die Me­di­en und die Bür­ger in das Macht­spiel hin­ein­ge­zo­gen und letzt­lich zum Geg­ner der Re­gie­rung, den es zu be­sie­gen gilt. Die Me­di­en ver­lie­ren so ih­ren Sta­tus, über das Ge­sche­hen in ei­ner all­men­die­ren­den De­mo­kra­tie zu be­rich­ten, auch kom­men­tie­rend. Auf dass der Wäh­ler­schaft klar wer­den kann, ob die ak­tu­el­le Kon­zep­ti­on noch trägt oder durch ei­nen Wech­sel der Spiel­rol­len das Prin­zip der po­li­ti­schen All­men­de auf­zu­fri­schen ist. In Er­in­ne­rung ge­ru­fen wer­den soll.

Die Me­di­en ver­lie­ren den Sta­tus neu­tra­ler, re­flek­tie­ren­der Be­ob­ach­ter, die Bür­ger­schaft ver­liert den Sta­tus der Frei­heit. Weil je­ne, die in Po­si­ti­on und Op­po­si­ti­on be­auf­tragt wur­den, für eben je­ne Frei­heit von Macht­kämp­fen der Bür­ger­schaft zu sor­gen, da­mit die­se für sich sor­gen kann, ver­sa­gen. Sinn der Re­prä­sen­ta­ti­on ist es, statt selbst kämp­fen zu müs­sen, po­li­ti­sche Ak­teu­re zu be­auf­tra­gen, mit de­mo­kra­ti­schem Rin­gen Sor­ge für und um die Ge­sell­schaft zu tra­gen. Und für die Klar­heit zu sor­gen, die es der Wäh­ler­schaft er­mög­licht zu be­ur­tei­len, ob ein Wech­sel in den Spiel­rol­len an­ge­zeigt ist. Ei­ne Klar­heit, die dann durch die Me­di­en ins Land ge­tra­gen wird.

So ent­steht ein Wech­sel­spiel von Po­si­ti­on und Op­po­si­ti­on, das dann eben als Wech­sel­wir­kung Kraft ent­fal­tet; ein Land, ei­ne Ge­sell­schaft, wei­ter­bringt, oh­ne dass da­bei die Sach­the­men, z.B. Kli­ma, Mi­gra­ti­on, sog. Di­gi­ta­li­sie­rung, ver­nach­läs­sigt wer­den. Denn sach­lich, ver­nünf­tig be­trach­tet sind die­se Pro­ble­me kei­ne ei­ner po­li­ti­schen Hal­tung. Son­dern Fra­gen, die wis­sen­schaft­li­ches Trei­ben auf­zu­hel­len ver­mag. Ob die Lö­sun­gen zu die­sen Pro­ble­men mit wei­ßen oder schwar­zen Hand­schu­hen an­ge­gan­gen wer­den, mit ro­ten oder grü­nen, gel­ben oder blau­en,… ist den The­men und wohl auch der Wäh­ler­schaft völ­lig egal: Die Ge­sell­schaft hat sich zu die­sen Pro­ble­men zu ver­hal­ten.

Nicht egal dürf­te der Wäh­ler­schaft al­ler­dings sein, mit wel­cher Stim­mung, grund­le­gen­den Hal­tung die Lö­sung die­ser Pro­ble­me an­ge­gan­gen wird. Mit der Wahl von Par­tei­en wird die­se Stim­mung ge­schaf­fen – so denn über­haupt Hal­tun­gen zur Wahl ste­hen und nicht viel­mehr ei­ne, ver­meint­lich kon­ser­va­ti­ve, so laut brüllt, dass die nicht-kon­ser­va­ti­ve er­schro­cken in ei­nen Mu­tis­mus fällt und man so mei­nen könn­te, es gä­be nur die­se, sich ra­tio­nal-prag­ma­tisch ge­ben­de, Stim­me, letzt­end­lich. Und die­se dann ‚wählt‘, auch wenn man sie nicht ha­ben will. Um mit ei­nem sol­chen Pro­test dar­auf auf­merk­sam zu ma­chen, dass die Stim­mung, die Hal­tung, die die Wäh­ler­schaft sich wünscht, nicht er­kenn­bar ist, eben nicht wähl­bar ist. Ei­ne Hal­tung der All­men­de, sicht­bar durch das An­ge­bot, Po­si­ti­on und Op­po­si­ti­on in ei­nem de­mo­kra­ti­schen Par­la­ment in ih­ren Rol­len neu be­set­zen zu kön­nen.

Po­si­ti­on und Op­po­si­ti­on, nicht Po­si­ti­on und Re­po­si­ti­on. Und schon gar nicht ei­ne ‚Mit­te‘, die jeg­li­che Po­si­ti­on ver­mis­sen lässt und so­mit Op­po­si­ti­on ver­un­mög­licht. Po­li­tik hat auch die­sen Frei­raum für die Bür­ger­schaft zu schaf­fen, ei­ne ent­spann­te, po­li­tisch un­be­setz­te Mit­te, aus de­ren neu­tra­ler Per­spek­ti­ve her­aus das Trei­ben der sich all­men­die­ren­den De­mo­kra­tie durch die Wäh­ler­schaft be­trach­tet, be­ur­teilt und ge­steu­ert wer­den kann.

Im Üb­ri­gen möch­te ich ab­schlie­ßend noch all je­ne, die sich als Pro­test­wäh­ler ver­ste­hen, da­zu auf­ru­fen, statt frag­wür­di­ge und un­durch­sich­ti­ge Hal­tun­gen zur Macht zu ver­hel­fen, ih­ren Wunsch nach ei­ner frei­en Mit­te durch die Ab­ga­be ei­nes sog. un­gül­ti­gen Stimm­zet­tels zu be­zeu­gen. Ein un­gül­tig ge­nann­ter Stimm­zet­tel heißt nicht, dass die Stim­me un­gül­tig ist, er heißt nur, dass die ab­ge­ge­be­ne und al­so ge­zähl­te Stim­me bei der Zu­sam­men­set­zung des Par­la­ments kei­ne Rol­le spielt.

14% ‚un­gül­ti­ge‘ Stimm­zet­tel
soll­ten die Po­li­tik wohl dar­an er­in­nern kön­nen, dass sie aus Sicht des Sou­ve­räns an ih­rem de­mo­kra­ti­schen Ver­ständ­nis zu ar­bei­ten hat.

Lit.:
We­ber, An­dre­as: In­di­ge­nia­li­tät
Ni­co­lai, Ber­lin 2018. 120 S., 20,00€
(auch als e‑Book er­hält­lich)

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Zwei Jäger treffen sich im Wald

Anmerkungen zu Zorn, Daniel-Pascal: „Shooting Stars“. Philosophie zwischen Pop und Akademie.

Um es vor­weg zu neh­men: Der Ver­fas­ser die­ser Zei­len hier über oder zu o.g. Ti­tel, im fol­gen­den schlicht „ich“, ist auf’s An­ge­nehms­te über­rascht: Zwei Stun­den er­hel­len­de Lek­tü­re oh­ne aka­de­misch-ela­bo­rier­tes Ge­re­de, son­dern lu­zid und kon­zis vor­ge­tra­ge­ne Per­spek­ti­ven auf das, was als „Po­pu­lär­phi­lo­so­phie“ und das, was als „aka­de­mi­sche Phi­lo­so­phie“ be­zeich­net wird. Ein an­ge­neh­mer Text, der sich vor al­len Din­gen dar­in übt, das im Text Ge­for­der­te selbst zu er­fül­len: Vor­aus­set­zun­gen zu klä­ren. Und das we­der in sim­pli­fi­zie­ren­der po­pu­lis­ti­scher Ma­nier noch in ver­kom­pli­zie­ren­der Eli­tär-At­ti­tü­de. Son­dern in der An­stren­gung, leicht und den­noch prä­zi­se dar­zu­le­gen, um was es (ei­gent­lich) geht. Oder ge­hen soll­te.

Auf ei­ne In­halts­an­ga­be sei hier ver­zich­tet und die dar­an In­ter­es­sier­ten auf­ge­for­dert, selbst zu ei­nem Ur­teil zu ge­lan­gen, ist denn ein sol­ches ge­sucht. Und ei­ne Zu­sam­men­fas­sung ei­ner Zu­sam­men­fas­sung hat noch nie zu et­was Bes­se­rem ge­führt. Die­ser, mein Bei­trag will sich ein we­nig mit dem Ge­le­se­nen be­schäf­ti­gen, frei von und frei zu; und vor al­len Din­gen ein­mal be­leuch­ten, wie es im Lich­te der Über­le­gun­gen Zorns um das steht, was als „Phi­lo­so­phi­sche Pra­xis“ al­lent­hal­ben kur­siert. Kurz drauf­leuch­ten, wir sind ja im In­ter­net.

Vor­ne­weg ist fest­zu­stel­len und das „ich“ bzw. das feh­len­de Heid­eg­ger’sche „man“, in die­sem Bei­trag hier auch zu be­grün­den: D I E Phi­lo­so­phi­sche Pra­xis gibt es ge­nau­so we­nig wie D I E phi­lo­so­phi­sche Pra­xis oder D I E Phi­lo­so­phie: (»Was ›die Phi­lo­so­phie‹ ist, ist ein phi­lo­so­phi­sches Pro­blem.« (S. 11)). Der Bei­trag ist al­so ein rein sub­jek­ti­ver und er­hebt kei­ner­lei An­spruch auf All­ge­mein­gül­tig­keit.

Das Wah­re fin­det sich in der Dif­fe­renz zu et­was An­de­rem, nicht in sich selbst. Des­halb ist die ge­gen­sei­ti­ge Op­po­si­tio­na­li­sie­rung von Po­pu­lär­phi­lo­so­phie und aka­de­mi­scher Phi­lo­so­phie auch so wich­tig und hilf­reich, um her­aus­zu­stel­len, wor­um es Phi­lo­so­phie als sol­cher, un­ab­hän­gig ih­rer Er­schei­nungs­for­men, geht oder zu­min­dest ge­hen soll oder auch soll­te. Frei­lich gin­ge das wohl auch an­ders, ein Win­kel zwi­schen den Po­si­tio­nen reicht ja auch schon aus, um ei­ne Sa­che von min­des­tens zwei Per­spek­ti­ven aus zu be­trach­ten. 180° sind auch mach­bar. „Schau mir in die Au­gen, Klei­nes.“

Wer schreibt hier? Das ist un­ter Um­stän­den wich­tig, um den Bei­trag ein­ord­nen zu kön­nen. Ich ha­be we­der ein ‚an­stän­di­ges‘ Phi­lo­so­phie­stu­di­um noch ziert mei­nen Na­men ein aka­de­mi­scher Dok­tor-Grad oder über­haupt ir­gend­ei­ne aka­de­mi­sche Aus­zeich­nung. Mich hat ne­ben ei­nem ‚ge­fühl­ten Phi­lo­so­phen in mir‘, des­sen aka­de­mi­sches Exis­tenz­recht die Le­bens­um­stän­de ver­un­mög­licht ha­ben, in der Tat Prechts Buch »Wer bin ich…« und die dar­auf fol­gen­de Lek­tü­re von Ernst Tu­gend­hat, und im fol­gen­den dann Häpp­chen­wei­se He­gel, Kant, Blu­men­berg, … bis hin zu ‚mei­nem‘ Phi­lo­so­phen, ei­nem Bru­der im Geis­te, ei­nem See­len­ver­wand­ten, wie mich deucht, Lud­wig Witt­gen­stein ge­führt. Die in­ten­si­ve Lek­tü­re sei­nes Den­kens und Le­bens be­gin­ne ich nun und bin da­mit min­des­tens die nächs­ten 2 – 3 Jah­re be­schäf­tigt, wenn nicht gar noch viel, viel län­ger — ha­be ich doch mit die­sem Phi­lo­so­phen mei­nen ‚ar­chi­me­di­schen Punkt‘ im Phi­lo­so­phie­uni­ver­sum ent­deckt. Und im Zu­ge die­ser Ent­wick­lung nut­ze ich seit 2015 die Mög­lich­keit, als Gast­hö­rer am In­sti­tut für Phi­lo­so­phie der Uni­ver­si­tät Ko­blenz-Land­au, Cam­pus Land­au wei­len zu dür­fen (Wer­be­block: En­de).

Ich bin nun al­so durch­aus ein Ver­tre­ter je­ner Spe­zi­es, die im Buch auf S. 39 ge­nannt wird. Das mag nun vie­le Leser/innen ver­scheu­chen, denn was will so ei­ner schon sa­gen kön­nen, zu­mal über das höchs­te Gut mensch­li­chen Geis­tes, das Phi­lo­so­phi­sche? Das soll­te doch dann de­nen über­las­sen wer­den, die das stu­diert ha­ben und sich aka­de­misch und/oder pu­bli­zis­tisch nach ein­schlä­gi­gem Stu­di­um da­zu äu­ßern, die al­so wis­sen, wo­von sie spre­chen. Nun denn, Adieu, Dan­ke für den Fisch und macht’s gut. (Ach so, eins noch: Ri­chard Da­vid Precht hat Ger­ma­nis­tik stu­diert.)

Mei­ne pri­va­te phi­lo­so­phi­sche Pra­xis und auch mei­ne kom­mer­zi­el­le Phi­lo­so­phi­sche Pra­xis (p und P im Ad­jek­tiv zei­gen die Dif­fe­renz an) fin­det sich in Zorns Es­say auf Sei­te 98:

Phi­lo­so­phie als Auf­merk­sam­keit, als Pra­xis, als ei­ne Wei­se des Den­kens, die das Den­ken an­de­rer und das ei­ge­ne Den­ken ra­di­kal hin­ter­fragt, oh­ne sich zu ver­lie­ren und von die­sem Punkt aus al­les zu ge­win­nen, was die Welt und die Phi­lo­so­phie sein kann – das wä­re ei­ne Mög­lich­keit.

Nun, Herr Zorn, das wä­re nicht nur ei­ne Mög­lich­keit, das ist ei­ne Mög­lich­keit. Dass die­se Mög­lich­keit nicht von Markt­re­geln oder Aus­bil­dungs­re­geln ab­hängt, da­für rei­chen die­se Zei­len hier wün­schens­wer­ter­wei­se hin. Bes­ser lässt sich mein An­spruch an mei­ne per­sön­li­che Hal­tung, als auch an mei­ne be­ruf­li­che Tä­tig­keit nicht in Wor­te fas­sen, zu­min­dest vor­läu­fig. (Ich weiß näm­lich nicht, wie oft ich den Satz schon ge­sagt ha­be. Doch seit Karl Pop­per ist ja all­ge­mein­hin be­kannt, dass Wis­sen im­mer die Ei­gen­schaft der Vor­läu­fig­keit hat.)

So ha­be ich mir auch S. 10 mar­kiert:

Und nur wenn sie [Po­pu­lär­phi­lo­so­phie und aka­de­mi­sche Philosophie;V.H.] ver­ste­hen, dass ›die Phi­lo­so­phie‹ zu­nächst kei­ne An­samm­lung von Weis­hei­ten, In­hal­ten, The­men und Me­tho­den ist, son­dern ei­ne Hal­tung, ei­ne Pra­xis und ein aus die­ser Hal­tung ent­ste­hen­des ra­di­ka­les Pro­blem ih­rer Wei­ter­ga­be, kön­nen sie ei­nen Weg fin­den, der sie von Geg­nern zu Part­nern wer­den lässt.

Na, da ist sie, die gu­te al­te Dia­lek­tik, die ei­ne dort, der an­de­re ge­nau ge­gen­über, ei­ne Wahr­heit, un­ab­hän­gig der ei­ge­nen Po­si­ti­on. Da lässt sich dann im­mer präch­tig strei­ten und sol­che Streits fol­gen nicht, zu­min­dest mei­ner All­tags­er­fah­rung nach, ei­nem Spiel von The­se und An­ti­the­se, zu ei­ner Syn­the­se füh­rend, die­se zei­ti­gend, son­dern zu zwei Boll­wer­ken, die die je­wei­lig ei­ge­ne Po­si­ti­on als die rich­ti­ge­re ge­gen­über der an­de­ren (a) an­prei­sen und (b) zu recht­fer­ti­gen su­chen. Ja, kann so ge­macht wer­den, auch so geht die Zeit ’rum.

Da ziemt sich’s schon ge­schei­ter, die bei­den Po­si­tio­nen ein­mal als Ex­tre­me zu ver­ste­hen und nach ei­ner aris­to­te­li­schen, ba­lan­cie­ren­den Mit­te zu su­chen. Zorns Text kommt mir so da­her, als ver­su­che er sich ge­nau in die­ser Weis­heit. Nicht un­ge­lun­gen, aber das deu­te­te ich be­reits an.

Sehr dank­bar bin ich dem Au­tor Zorn um Sei­te 41 (Was da steht, soll­te ei­gent­lich, will nicht in Pa­nik ver­fal­len sein, auf Sei­te 42 ste­hen):

Viel in­ter­es­san­ter ist, dass die Po­pu­lär­phi­lo­so­phie das, was sie auf ei­ner tie­fe­ren Ebe­ne in Fra­ge stellt, al­so das Selbst­ver­ständ­li­che und si­cher Ge­glaub­te, auf ei­ner hö­he­ren Ebe­ne selbst wie­der in­stal­liert. […] In ge­nau die­ser Hin­sicht be­sitzt die Po­pu­lär­phi­lo­so­phie ei­ne ideo­lo­gi­sche Funk­ti­on. […] Wenn Po­pu­lär­phi­lo­so­phie so ar­gu­men­tiert, dann ist sie Opi­um fürs Volk.

Das Zi­tat ist nun arg frag­men­tiert, aber das hier will auch kei­ne kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung sein. Doch was in den dar­ge­leg­ten Text­stel­len die­ser Pas­sa­ge für mich zum Aus­druck kommt, ist ge­nau das, was ich mitt­ler­wei­le an der Po­pu­lär­phi­lo­so­phie, an ei­ni­gen Vertreter/innen eben die­ser, prä­zi­se ge­sagt, kri­ti­sie­re: Da geht es nicht mehr um das, was ich un­ter ‚phi­lo­so­phie­ren‘ sub­sum­mie­re. Da geht es nicht dar­um, ei­ne Fra­ge so prä­zi­se zu stel­len, al­so so lan­ge an ihr zu ar­bei­ten, dass sie be­reits auf die Ant­wort ver­weist und die­se gleich­sam not­wen­di­ger­wei­se ge­biert, son­dern dar­um, be­que­me Ant­wor­ten zu lie­fern und die­se ir­gend­wie aus der phi­lo­so­phi­schen His­to­rie her­aus zu be­grün­den (Was, so scheint mir, bei mit phi­lo­so­phi­scher Li­te­ra­tur Un­ver­trau­ten, ein all­zu leich­tes Spiel ist). Das mag in der Re­zept­kul­tur, in der ich Deutsch­land seit Hel­mut Kohl wäh­ne, an­ge­hen und en vogue sein. Doch für mich ist das kei­ne Phi­lo­so­phie, son­dern So­phis­te­rei, im schlimms­ten Fal­le: Re­li­gi­on. Was nun al­ler­dings nicht heißt, die­se zu ver­ur­tei­len. Glücks­rat­ge­ber und Weis­heits­leh­ren er­fül­len al­le ih­ren le­bens­prak­ti­schen Sinn und Zweck und dar­an ist auch gar nichts zu be­män­geln. Nur soll­te das dann selbst, al­lein der Red­lich­keit we­gen, den An­spruch an et­was phi­loso­phi­sches zu­min­dest mit ei­nem gro­ßen Fra­ge­zei­chen schmü­cken.

Ei­ne an­de­re Stel­le, ne­ben den vie­len an­de­ren, die ich mir mar­kiert ha­be, auf S. 51:

Was aber wird hier [die Re­de ist von Pla­ton und die Auf­he­bung von Selbstverständlichkeiten;V.H.] lehr­bar ge­macht? Kein Wis­sen, kei­ne po­si­ti­ven Be­stim­mun­gen, son­dern ei­ne be­stimm­te Art und Wei­se des Fra­gens, des Ant­wor­tens, des Zei­gens. Und die­ses Zei­gen hat stets da­mit zu tun, dass man das, was ge­sagt wird, auf das be­zieht, wie es ge­sagt wird. Des­we­gen kann das Zei­gen ei­ne Leh­re sein, auch dann, wenn es selbst, als zei­gen, nie an­ge­spro­chen wird.

Das könn­te fast von Lud­wig Witt­gen­stein stam­men. Oder von ei­nem Zen-Meis­ter.

An spä­te­rer Stel­le im tem­po­ra­len Er­le­ben des Es­says wird häu­fig das Wort „Aus­bil­dung“ im Kon­text des Leh­rens der Phi­lo­so­phie ge­braucht. Das hät­te ich ger­ne in ei­ner zwei­ten Auf­la­ge durch die Strei­chung der Sil­be „Aus“ ak­tua­li­siert. Auf S. 69 wird Kant her­an­ge­zo­gen und mit

›un­ter al­len Ver­nunft­wis­sen­schaf­ten […] nie­mals […] Phi­lo­so­phie (es sei denn his­to­risch), son­dern, was
die Ver­nunft be­trifft, höchs­tens nur phi­los­phie­ren ler­nen‹

zi­tiert. Nun, eben: phi­lo­so­phie­ren ler­nen — nicht leh­ren. Ich ha­be im Rah­men mei­ner Gast­hö­rer­schaft an der hie­si­gen Uni­ver­si­tät ziem­lich schnell spitz­ge­kriegt, dass es ein Stu­di­um der Phi­lo­so­phie ei­gent­lich (au­ßer eben his­to­risch) nicht gibt, son­dern ich in ei­nem sol­chen Stu­di­um das Stu­di­um von Phi­lo­so­phien übe und so das ei­ge­ne Phi­lo­so­phie­ren schär­fe, wie des Mes­sers Tu­gend am Wetz­stein er­frischt wird. Des­halb er­scheint mir auch die Re­de von ei­ner Aus­bil­dung un­sin­nig: Ich wüss­te nicht, wie mir ver­nünf­ti­ger­wei­se ge­zeigt wer­den könn­te, dass ein Phi­lo­so­phie­stu­di­um je­mand zur/m Philosoph/in macht — dann müss­te ein Kunst­stu­di­um auch jede/n zum Künst­ler oder zur Künst­le­rin ma­chen kön­nen.

Doch sol­che Stu­di­en­gän­ge ver­mit­teln eben nicht ein Wis­sen wie es z.B. der Ma­schi­nen­bau tut. Son­dern sie bil­den das, ge­ben dem ei­ne Form, was schon da ist. (Oder, ja, auch das Bild ei­nes Stein­met­zes (w/d/m) hat ei­ne Re­so­nanz: das weg­hau­en, was über­flüs­sig ist. Al­so die Flau­sen im Kopf ver­damp­fen las­sen.) Des­we­gen bit­te kei­ne Re­de mehr von ei­ner Phi­lo­so­phen-Aus­bil­dung, son­dern nur noch von der Phi­lo­so­ph/in­nen-Bil­dung. So kann sich das auch frei ma­chen von ei­ner aka­de­mi­schen Ver­ein­nah­mung und das, was als Den­ken zu gel­ten hat, auf den Kreis Uni­ver­si­täts­an­ge­hö­ri­ger ein­engen. „Na­tur­ge­mäß“ fin­den sich an der Uni­ver­si­tät vie­le Philosoph/innen. Zu­meist die, die es ge­schafft ha­ben, ihr Ta­xi ge­winn­brin­gend zu ver­kau­fen.

Die letz­ten bei­den Ka­pi­tel des Es­says, »Was ist gu­te aka­de­mi­sche Phi­lo­so­phie« und »Was ist gu­te Po­pu­lär­phi­lo­so­phie« fin­de ich äu­ßerst ge­lun­gen. Im Ka­pi­tel über gu­te Aka­de­mie spricht Zorn von dem Ge­mein­sa­men viel­fäl­ti­ger aka­de­mi­scher Phi­lo­so­phie-Per­spek­ti­ven: das kri­ti­sche In-Fra­ge-Stel­len, das Mit-Grün­den-Recht­fer­ti­gen und die ra­di­ka­le Kri­tik (S. 92f). In drei Wor­ten von mir: Skep­sis, Skep­sis, Skep­sis. Und die­se Skep­sis nun ist ge­nau die »phi­lo­so­phi­sche Auf­merk­sam­keit« (S. 93). Und zu der kann nicht aus­ge­bil­det, son­dern, m.b.M.n., sich nur selbst her­aus­ge­bil­det wer­den. Denn da steckt ein Wag­nis da­hin­ter: Das Wag­nis, nach­her an­de­rer Mei­nung sein zu müs­sen als vor­her, und das der ei­ge­nen Ar­gu­men­te vor sich selbst we­gen. Da mag das Ge­burts­tags­kind des Jah­res, Jür­gen Ha­ber­mas, mit sei­nem zwang­lo­sen Zwang des bes­se­ren Ar­gu­men­tes, durch­schei­nen.

Und gu­te Aka­de­mie ist in der Tat ein gu­ter Ort für die­se Übung der ei­ge­nen Bil­dung, sei sie dann durch aka­de­mi­sche Wei­hen ab­ge­seg­net oder nicht. Si­cher­lich ist die Uni­ver­si­tät nicht der ein­zi­ge Ort in ei­ner als Bil­dungs­land­schaft auf­ge­fass­ten Welt, wo dies mög­lich ist. Wer in ei­nem Hand­werk oder ei­nem an­de­ren nicht-aka­de­mi­schen Mé­tier an eine/n gu­ten Meis­ter oder Meis­te­rin ge­rät, mag zur sel­ben Ein­sicht ge­lan­gen. Doch ich fürch­te, sol­che Bei­spie­le bes­ter Leh­re sind im Hand­werk wie an der Uni­ver­si­tät und auch an­der­orts nicht in dem Ma­ße ver­tre­ten, wie es wohl wün­schens­wert wä­re. Sonst gä­be es wo­mög­lich die Kluft zwi­schen aka­de­mi­scher und po­pu­lä­rer Phi­lo­so­phie über­haupt nicht und bei­de wür­den sich als For­men geis­ti­ger Tä­tig­keit auf­fas­sen kön­nen, kei­ner bes­ser oder schlech­ter als der an­de­re. Nur eben: An­ders. Wie ge­sagt, die Wahr­heit fin­det sich in der Dif­fe­renz zu an­de­ren, und nicht in den Sa­chen selbst. Was noch lan­ge kei­ne bi­po­la­re, oder, wir le­ben ja in Zei­ten künst­li­cher In­tel­li­genz, bi­nä­re „Dia­lek­tik“ er­zwingt.

Das gro­ße Plus, und da stim­me ich Zorn aus ei­ge­ner Em­pi­rie voll und ganz zu, ist die Frei­heit von »Zwänge[n] der For­schung«, die sich Po­pu­lär­phi­lo­so­phie nimmt (S. 95), neh­men kann und ich möch­te sa­gen: so­gar neh­men soll. Und Zorn nennt auf S. 97 ei­nen wei­te­ren Punkt, in dem ich ihm un­um­wun­den bei­pflich­ten möch­te:

Sie [die Populärphilosopie;V.H.] wä­re [mit ei­nem rea­lis­ti­schen Anspruch;V.H.] nicht mehr die po­pu­lä­re Ver­si­on der aka­de­mi­schen Phi­lo­so­phie oder ei­ner aka­de­mi­schen Tra­di­ti­on.

Ge­nau die­sen Ein­druck ge­win­ne ich oft bei der Po­pu­lär­phi­lo­so­phie: Statt als ei­ge­nes phi­lo­so­phi­sches Gen­re ne­ben der aka­de­mi­schen Phi­lo­so­phie in Er­schei­nung zu tre­ten, übt sie sich (al­so ei­ni­ge ih­rer Vertreter/innen) ir­gend­wie ver­schämt dar­in, als „Aka­de­mie light“ auf­zu­war­ten und sich als be­son­ders ef­fi­zi­ent ge­gen die aka­de­mi­sche Phi­lo­so­phie zu ver­kau­fen (man kau­fe nur ein ein­zi­ges Buch und spa­re sich Jah­re, ja im­mer­wäh­ren­des Stu­di­um und wis­se so al­so letzt­gül­tig „Be­scheid“ (vgl. S. 211⇣Ei­ne gu­te Über­sicht bie­tet üb­ri­gens Stö­rig, H.J.: „Klei­ne Welt­ge­schich­te der Phi­lo­so­phie“. Er­setzt kein Voll­stu­di­um, ver­schafft aber … Wei­ter­le­sen…). Man könn­te den Ein­druck ge­win­nen, sie wetzt sich an der Aka­de­mie die Klin­ge, um sie dann kalt zu ma­chen. (Über­sieht da­bei aber viel­leicht de­ren di­ckes Fell.)

Zwei Din­ge sind mir noch auf­ge­fal­len: Durch das Buch zieht sich ei­ne Fra­ge, die auf S. 33 erst­mals ge­stellt wird:

Wie soll man je­man­den das, was er nicht ge­lernt hat, bei­brin­gen, wenn das, was ihm fehlt, die Be­din­gung da­für ist, dass er es ler­nen kann?

Die Ge­gen­fra­ge, die ich da an­zu­bie­ten hät­te, ist: Kann die Be­din­gung zur Mög­lich­keit über­haupt ge­lehrt wer­den? Oder ist es viel­leicht nicht viel­mehr so, dass et­was ‚ge­weckt‘ wer­den muss? Und ei­ne mög­li­che Ant­wort ha­be ich dann auf S. 53 ge­fun­den, es ist die Über­schrift des Ka­pi­tels, das dort be­ginnt:

Die Welt ver­lie­ren, um die Welt zu ge­win­nen

Ich muss­te bei die­ser Über­schrift so­fort an ei­nen Men­schen den­ken, der, so­weit ich weiß, auch kei­ne Phi­lo­so­phie stu­diert hat, aber zu­wei­len recht sinn­vol­le Sät­ze äu­ßert. Wie z.B. die­sen:

Da­hin ge­hen, wo man um­kom­men kann, um nicht um­zu­kom­men.

Die­sen Satz ken­ne ich von Rein­hold Mess­ner, sei­nes Zei­chens eme­ri­tier­ter Al­pi­neur der ganz hef­ti­gen Sor­te.

Bei al­ler Be­schei­den­heit, zu der ich gu­te Grün­de ha­be, möch­te ich hier nun doch noch auf mein Pro­jekt der Di­let­tan­tie hin­wei­sen, die ich aus­zu­ar­bei­ten, na, ich blei­be Witt­gen­stein treu: zu skiz­zie­ren ge­den­ke. Die­se Di­let­tan­tie soll sich als ei­ne wei­te­re, ernst­zu­neh­men­de Wei­se des Phi­lo­so­phi­schen ver­ste­hen und sich in der Phi­lo­so­phi­schen Pra­xis eta­blie­ren. Nicht un­ter und nicht über den an­de­ren Wei­sen, son­dern ne­ben ih­nen. Oder, die ba­lan­cie­ren­de Mit­te noch ein­mal auf­grei­fend: Zwi­schen U‑Philosophie und E‑Philosophie ei­ne P‑Philosophie ma­ni­fes­tie­ren, ei­ne prak­ti­zier­te Phi­lo­so­phie.

Denn: Se­he ich die aka­de­mi­sche Phi­lo­so­phie sich ei­ner Phi­lo­so­phie als Wis­sen­schaft ver­pflich­tet, möch­te ich das, was die di­let­tan­ti­sche aus­zeich­net, mit glei­chem Ernst und An­spruch, als sich dem Phi­lo­so­phi­schen im Ver­ständ­nis ei­ner Kunst zu­wen­dend ver­stan­den wis­sen.

Ge­gen ei­ne Ein­ord­nung ei­ner sol­chen di­let­tan­ti­schen Phi­lo­so­phie als Po­pu­lär­phi­lo­so­phie hät­te ich gar nichts ein­zu­wen­den. So­lan­ge sie von ei­ner di­let­tan­tis­ti­schen und in mei­nen Au­gen da­mit po­pu­lis­ti­schen Wei­se der (ver­meint­li­chen) Ver­phi­lo­so­phi­sie­rung der Welt streng un­ter­schie­den, ja, eben: ge­schie­den ist.

Sol­che Din­ge zu wa­gen, sich der Kri­tik aus­setz­bar zu ma­chen, mög­li­chen Schmä­hun­gen oder be­mit­lei­den­den Äu­ße­run­gen oder an­de­re Wei­sen der Ab­wer­tung in Kauf zu neh­men, meint »Die Welt ver­lie­ren«. Sei­ne In­sel der See­lig­keit ge­schaf­fen zu ha­ben, nach jahr­zehn­te­lan­gen Auf­häu­fen von Sand im wei­ten Meer des Den­kens, und die­se In­sel nun zu be­woh­nen und zu be­haup­ten, ihr ei­nen den­ken­den Kopf auf­zu­set­zen, das meint »Welt ge­win­nen«.

Als ich über Twit­ter von der Exis­tenz die­ses Bu­ches er­fuhr, frag­te ich den Au­tor, dass „Phi­lo­so­phi­sche Pra­xis“ wohl nicht vor­kä­me, was die­ser auch be­stä­tig­te. Nun, Herr Zorn, ich wa­ge da zu wi­der­spre­chen (Viel­leicht geht es Ih­nen ja wie Kant und sie ver­ste­hen sich sel­ber nicht (vgl. S 86f)): Der Es­say ist aus mei­ner Per­spek­ti­ve ein Es­say von und über phi­lo­so­phi­sche Pra­xis, wie ich sie in mei­ner phi­lo­so­phi­schen wie Phi­lo­so­phi­schen Pra­xis übe, in dem ich es, das Phi­lo­so­phie­ren, nicht ge­nau­so, aber in ei­nem sol­chen Sinn von »die Phi­lo­so­phie« aus­übe.

Zu­min­dest übe ich mich dar­in.

Lit.:
Zorn, Da­ni­el-Pas­cal: Shoo­ting Stars.
Klos­ter­mann, Frankfurt/Main, 2019.

Zu gu­ter Letzt: Soll­ten dem/r Leser/in ei­ni­ge Zei­len hier merk­wür­dig sinn­frei er­schei­nen: Le­sen Sie das Büch­lein »Shoo­ting Stars«, dann er­hellt sich das schon. Der Sei­ten­hieb mit der 42 und die Sa­che mit dem Fisch geht na­tür­lich voll und ganz auf das Kon­to von Douglas Adams. Soll­te im­mer noch et­was un­klar sein, han­delt es sich al­ler Wahr­schein­lich­keit nach schlicht um ei­ne iro­ni­sche Be­mer­kung. Denn der Hu­mor hat bei al­lem Ernst auch in der Phi­lo­so­phie sei­nen Platz, nicht nur als Iro­nie. Ge­ra­de in der di­let­tan­ti­schen. Ein Lu­xus, den sich die­se leis­ten kann. Denn: Was wä­re Phi­lo­so­phie oh­ne Witz?

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Re­fe­ren­ces
1 Ei­ne gu­te Über­sicht bie­tet üb­ri­gens Störig, H.J.: „Klei­ne Welt­ge­schich­te der Phi­lo­so­phie“. Er­setzt kein Voll­stu­di­um, ver­schafft aber Ori­en­tie­rung.