Denkzettel 68

Da wird in letz­ter Zeit viel von „neu­er Nor­ma­li­tät“ ge­re­det und man­chen mag der dräu­en­de Ver­lust ei­ner „al­ten Nor­ma­li­tät“ wie ei­ne Be­schnei­dung der Un­end­lich­keit der Mög­lich­kei­ten vor­kom­men.

Ei­ne „neue Nor­ma­li­tät“ än­dert über­haupt nichts an der Un­end­lich­keit der Mög­lich­kei­ten, eben weil sie un­end­lich sind. Sie füh­len sich nur an­ders an, das ist al­les.

Und „an­de­re Nor­ma­li­tät“ ist all­täg­li­che Nor­ma­li­tät. Denn ein Sonn­tag ist an­ders nor­mal als ein Mitt­woch.

Und der/die An­de­re ist an­ders nor­mal als ich.

Denkzettel 56

In ei­ner Ge­sell­schaft, Welt, gar, in der of­fen­bar im­mer mehr der dar­an, und sie so( )mit ge­stal­ten­den, Teil­ha­ben­den – durch al­le Bil­dungs­gra­de hin­durch und je­wei­lig ak­zen­tu­iert – mei­nen, nur oder vor al­len Din­gen durch Schrei­en, Brül­len oder sons­ti­gem geis­ti­gen Lär­men – wel­ches im Üb­ri­gen auch sehr ru­hig vor­ge­tra­gen da­her­kom­men kann – zu ei­ner Gel­tung zu ge­lan­gen, wal­te ich zweckend im Ate­lier und schaue mir selbst(-)Gedanken zur Ach­tung an.

Turing-Test

Oder: Was macht ein Argument zwanglos zwingend besser?

Alan Turing stell­te sich 1950 die Fra­ge, wie man wohl fest­stel­len könn­te, ob ei­ne Ma­schi­ne, vom Com­pu­ter ist die Re­de, ein dem Men­schen gleich­wer­ti­ges Denk­ver­mö­gen ha­be und ent­wi­ckel­te den nach ihm be­nann­ten Test1⇣https://de.wikipedia.org/wiki/Turing-Test. In Zei­ten sog. künst­li­cher In­tel­li­genz ei­ne Fra­ge, die wir uns viel­leicht des öf­te­ren stel­len (soll­ten), wenn wir am Te­le­fon ein Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem lö­sen wol­len oder in ei­nem Chat in ei­ner Un­ter­hal­tung uns be­fin­den.

Jürgen Habermas präg­te die Re­de vom »zwanglose[n] Zwang des bes­se­ren Ar­gu­ments«. Oh­ne nun mit die­sem gro­ßen Den­ker hier ar­gu­men­tie­ren zu wol­len, der be­stimmt dar­ge­legt hat, was aus sei­ner Sicht un­ter die­ser Sen­tenz be­grif­fen wer­den soll, fra­ge ich mich für mich: was macht ei­gent­lich ein Ar­gu­ment ‚bes­ser‘? Und wo kommt die Zwang­lo­sig­keit her?

Ist es al­so denn schon aus­ge­macht, dass bei ei­ner Ar­gu­men­ta­ti­on ein ob­jek­tiv (wann ge­nau ist et­was ‚ob­jek­tiv‘?) bes­se­res Ar­gu­ment wirkt — oder die Zu­stim­mung, die An­er­ken­nung ei­nes Ar­gu­ments als gut oder gar bes­ser als das ei­ge­ne, vom lo­gi­schen Ge­halt des Ar­gu­men­tes ab­hängt und nicht von ganz an­de­ren Be­din­gun­gen? (Ob ein Ar­gu­ment mir ein schlech­tes Ge­wis­sen be­rei­tet, bspw.)

»Der zwang­lo­se Zwang des bes­se­ren Ar­gu­ments« ist kei­ner, der lo­gisch be­gründ­bar wä­re — zu­min­dest für uns Men­schen nicht. Wä­re dem so, müss­ten wir al­le den Ar­gu­men­ten ei­ner lo­gi­schen Ma­schi­ne oh­ne wenn und aber fol­gen. Mit­hin wä­ren wir dann wohl selbst sol­che Ma­schi­nen bzw. wür­den uns dar­auf re­du­zie­ren. Was wohl nie­mand ger­ne ma­chen will bzw. mit sich ma­chen las­sen will. Oder?

Ist die Be­wer­tung von Ar­gu­men­ten für uns Men­schen nicht viel­mehr von der Sinn­haf­tig­keit, wei­ter ge­fasst: der Sinn­lich­keit, ei­nes Ar­gu­men­tes ab­hän­gig? Stim­men wir denn nicht je­nen Ar­gu­men­ten zu, die für uns je Sinn ge­ben? (oder auch: ein­fach nur (per­sön­lich) nütz­lich sind. Und „Nut­zen“ kann ja durch­aus als Sinn­grund her­an­ge­zo­gen wer­den.)

Es gibt be­stimmt ei­ne Viel­zahl ra­tio­na­ler Ar­gu­men­te, die für ein Tem­po­li­mit auf Au­to­bah­nen spre­chen oder für das ge­ne­rel­le Tra­gen von Mund-Na­sen-Schutz au­ßer­halb der ei­ge­nen vier Wän­de. Doch wer wird sol­chen Ar­gu­men­ten zu­stim­men (kön­nen), sich al­so zwang­los zwin­gen las­sen — da­von aus­ge­hend, dass wir al­le ra­tio­na­le We­sen sind?

Wohl nur je­ne, de­nen die Vor­stel­lung, al­le wür­den auf der Au­to­bahn mit max. 135km/h un­ter­wegs sein oder al­le wür­den au­ßer­halb pri­va­ter Be­rei­che ei­nen MNS tra­gen, ein aus wel­chen Grün­den auch im­mer ‚gu­tes Ge­fühl‘ be­schert — was durch­aus auch ra­tio­na­le, rein lo­gi­sche Grün­de sein kön­nen.

Doch die Ra­tio­na­li­tät ist nicht das Ent­schei­den­de für die Zu­stim­mung oder Ab­leh­nung ei­nes Ar­gu­men­tes, für das sich Zwin­gen las­sen. Das Ent­schei­den­de ist die Be­find­lich­keit, in die uns ein Ar­gu­ment zu ver­set­zen ver­mag. Weil es uns ein ‚gu­tes Ge­fühl‘ be­schert sa­gen zu kön­nen: „Al­le soll­ten max. 135 km/h auf der Au­to­bahn fah­ren, weil dies we­ni­ger CO2 be­deu­tet und das gut ist für uns al­le.“ oder „Al­le soll­ten au­ßer­halb der pri­va­ten Be­rei­che MNS tra­gen, weil das auf al­le Fäl­le be­deu­tet, dass sich we­ni­ger Men­schen an­ste­cken.“. Wir be­für­wor­ten sol­che Ar­gu­men­te nicht, weil wir mei­nen, sie sei­en lo­gisch glas­klar und al­so oh­ne­hin nicht an­greif­bar. Das ist es nicht, was die Zwang­lo­sig­keit aus­macht.

Nun, ja, klar, wer möch­te nicht, völ­lig un­ab­hän­gig vom in­sti­tu­tio­na­li­sier­ten oder per­sön­li­chen Bil­dungs­grad ‚ob­jek­tiv‘ wie ein Gott sein und so für im­mer da­vor ge­schützt sein, Ar­gu­men­ten zu fol­gen, die mit ei­ner un­se­rer oder gar al­len un­se­ren Lo­gi­ken als falsch zu be­wer­ten ist? Das ist doch ein ver­lo­cken­des Ge­fühl, nichts mehr falsch ma­chen zu kön­nen, kei­nen lee­ren Ver­spre­chun­gen mehr zu fol­gen, weil man die­se als eben sol­che er­ken­nen kann. Nicht mehr an der Na­se her­um­ge­führt zu wer­den, weil die Falsch­heit der Ar­gu­men­te des An­de­ren völ­lig klar durch­schaut wer­den kön­nen? Ehr­lich, Hand hoch, wer das nicht möch­te!

Wer Ar­gu­men­ten folgt tut dies nicht – das Pos­tu­lat, und mehr kann es nicht sein, sei wie­der­holt – weil ein Ar­gu­ment bes­ser wä­re als ein an­de­res, und das viel­leicht so­gar noch zwin­gend, je nach an­ge­wand­ter Lo­gik. Ar­gu­men­ten wird ge­folgt, weil sie ei­nem ein ‚gu­tes Ge­fühl‘ ge­ben. Da steckt die Zwang­lo­sig­keit und macht ein Ar­gu­ment zwin­gend bes­ser!

Selbst beim al­ler­größ­ten Ra­tio­na­lis­ten (w/d/m) al­ler Zei­ten, wer im­mer das war, ist oder sein wird, ist das so — wenn nicht, müss­te ich da­von aus­ge­hen müs­sen, es nicht mit ei­nem Men­schen zu tun zu ha­ben. Oder mit ei­nem Men­schen, der ger­ne ei­ne Ma­schi­ne sein möch­te — bei­des sind für mich Vor­stel­lun­gen, die mir über­haupt kein gu­tes Ge­fühl be­sche­ren, eher ein mul­mi­ges Un­be­ha­gen.

Doch mit wel­chem Ar­gu­ment soll­te ich je­man­den da­zu be­we­gen kön­nen, sich nicht als Ma­schi­ne zu den­ken und zu ge­ben, wenn dies ihm doch ein ‚gu­tes Ge­fühl‘ gibt, aus wel­chen Grün­den auch im­mer? Nur wenn ich die­se Grün­de er­schüt­tern könn­te, den mehr oder we­ni­ger tie­fen Zwei­fel an der ei­ge­nen Über­zeu­gung we­cken könn­te, be­steht ei­ne Mög­lich­keit, das die­ser Mensch sei­ne Po­si­ti­on als nicht mehr so be­hag­lich emp­fin­det — und än­dern will, zu­nächst ein­mal. (Las­sen wir die Rich­tung die­ser Än­de­rung ein­mal au­ßer Acht.)

Die­se Er­schüt­te­rung der ei­ge­nen Grün­de ist es, was uns da­zu be­wegt, die Ar­gu­men­te der ei­ge­nen Po­si­ti­on zu über­den­ken. Und so kann ein durch­dach­tes ir­ra­tio­na­les Ar­gu­ment mehr be­wir­ken als ein durch­ge­styl­tes ra­tio­na­les. Wir sind näm­lich nicht nur ra­tio­na­le We­sen. Wir sind vor al­lem emp­fin­den­de We­sen. Die Ra­tio soll­ten wir da­zu ge­brau­chen, um zum Mond zu flie­gen. Nicht aber, um Ar­gu­men­te ab­zu­wä­gen.

Und wenn wir das Für und Wi­der von Maß­nah­men in Si­tua­tio­nen ab­wä­gen, tref­fen wir un­se­re Ent­schei­dung, fin­den wir un­se­re Mei­nung, neh­men wir un­se­re Hal­tung ein — nicht, weil ir­gend­ei­ne Lo­gik uns da­zu zwang­los zwin­gen wür­de. Wir schau­en ein­fach nur, wo’s am we­nigs­ten ‚weh­tut‘. Dem fol­gen wir dann. Ganz zwang­los.

Al­ler­dings ist es nun auch so, dass wir lern­fä­hig sind. In die­ser Re­de über­setzt be­deu­tet dies, das wir schmerz­to­le­ran­ter wer­den kön­nen, mehr aus­hal­ten kön­nen, toug­her wer­den, fit­ter. Ja, viel­leicht so­gar zur Ein­sicht kom­men, das man­cher ‚Schmerz‘ nur ein­ge­bil­det war, ei­ner Ge­wohn­heit fol­gend und nie über­dacht. Und dann auch Ar­gu­men­ten fol­gen kön­nen, die wir zu­vor als Un­mög­lich­keit ab­ge­lehnt ha­ben. Je­doch nicht, weil die­ses Ar­gu­ment nun plötz­lich ra­tio­na­ler wä­re als zu­vor. Oder wir klü­ger ge­wor­den wä­ren.

Ein­fach nur, weil’s nicht mehr so ‚weh‘ tut. Das We­ni­ger an Leid ist’s, was ein Ar­gu­ment zwang­los zwin­gend bes­ser macht. Und da Ma­schi­nen nicht lei­den kön­nen – was frei­lich auch für den Men­schen ei­ne all­zu­mensch­li­che Ver­lo­ckung ist, die­se Vor­stel­lung des nicht lei­den kön­nens – kön­nen die­se auch nicht ei­nem Ar­gu­ment fol­gen, wenn es sich mit ih­rer ein­ge­bau­ten Lo­gik nicht er­schlie­ßen oder fol­gern, al­so: er­rech­nen, lässt. Und frei­lich hat das Er­geb­nis die­ser Rech­nung so­wohl ‚wahr‘ zu sein als auch ‚gut‘. Völ­lig ob­jek­tiv.

Viel­leicht könn­te man die­sen Akt der An­pas­sung, die­se Ver­rin­ge­rung des Lei­des, ein­fach auch „Ein­sicht“ nen­nen?

Schau­en wir doch ein­mal so auf die ak­tu­el­len Er­eig­nis­se in Ber­lin und ja, auch hier in Land­au in der Pfalz. So­ge­nann­te Rechts­extre­me ma­chen da auf sich auf­merk­sam und der ge­sun­de Men­schen­ver­stand fragt sich: „Was treibt die­se Leu­te an? Wes­halb er­ge­ben sie sich nicht den zwang­los zwin­gend bes­se­ren Ar­gu­men­ten ei­ner rechts­staat­li­chen De­mo­kra­tie?“

Weil ih­nen die­se Ar­gu­men­te ‚weh‘ tun. Sie lei­den dar­un­ter. Und stem­men sich da­ge­gen, leh­nen sich da­ge­gen auf. Für sie, in die­ser Be­trach­tung hier, ist das al­les nur Weh und Ach. Auf der an­de­ren Sei­te, ei­ner nicht-rechts­extre­men und des­halb noch nicht links­extre­men, tun die Ar­gu­men­te Je­ner je­doch auch weh. Auch da wird sich ge­wehrt und da­ge­gen ge­stemmt.

Wie soll da, bei so­viel ‚Schmerz‘ auf al­len Sei­ten, ir­gend­ein Ar­gu­ment noch zwang­los Zwin­gen kön­nen?

Die Tech­nik der rechts­extre­men Vertreter/innen ist doch recht klar: Sie ver­su­chen die Grün­de der An­de­ren zu er­schüt­tern. Um so eben ih­re Ar­gu­men­te zwang­los zwin­gend wer­den zu las­sen. Letzt­lich geht es Ih­nen wohl dar­um, we­ni­ger zu Lei­den. Wer will ih­nen das ver­übeln?

Wo aber nun kommt die­ses Leid Je­ner denn her? Ja, man könn­te sie fra­gen — doch emp­fin­den sie sich denn über­haupt als lei­dend? Sind sie nicht schon in je­ner Stu­fe der Lei­d­im­mu­ni­sie­rung an­ge­kom­men, wo die ideo­lo­gi­sche Über­zeu­gung das Leid über­tönt, be­täubt, und das Leid auf An­de­re pro­ji­ziert wird, den Frem­den, dem An­ders­sein an sich und sich so ver­meint­lich des Leids ent­le­digt wird? Doch sind denn die­se Men­schen nicht auch schon an­ders, schon al­lein des­halb, weil je­der Mensch an­ders ist als al­le an­de­ren? Lei­den sie viel­leicht im Grun­de an ih­rem An­ders­sein? Ei­nem An­ders­sein, dass es ih­nen nicht er­mög­licht in die­ser Ge­sell­schaft Gel­tung zu er­lan­gen? Ei­nem An­ders­sein, das es ih­nen nicht mög­lich macht, im „Main­stream“ mit­zu­schwim­men? Ei­nem „Main­stream“ der vor al­lem auf Gel­tung auf­baut? In der nur Je­ne zäh­len, die Leis­tung er­brin­gen kön­nen, zum Bei­spiel? Die mit der neu­es­ten Tech­nik zu­ran­de kom­men? Die mit den Wen­dun­gen der Zeit­läuf­te kei­ne Mü­hen ha­ben? Die nicht mei­nen ih­re Wür­de zu ver­lie­ren, wenn sie nicht be­deu­tend sind?

Des Ex­tre­mis­mus Grün­de zu er­schüt­tern könn­te wo­mög­lich be­deu­ten, nicht je­ne mit bes­se­ren Ar­gu­men­ten über­zeu­gen zu wol­len. Son­dern de­ren Leid zu se­hen, de­ren tat­säch­li­che oder nur in­di­vi­du­el­le emp­fun­de­ne Ab­ge­hängt­heit vom „Main­stream“.

Viel­leicht kom­men sich die­se Men­schen ein­fach nur noch wie Ma­schi­nen vor, wie Mit­tel, de­ren Zweck nicht an­er­kannt wird. Die Ta­bu­brü­che und An­grif­fe ge­gen den de­mo­kra­ti­schen Rechts­staat
er­schei­nen dann nur noch als de­ren Mit­tel: Sie ver­gel­ten Leid mit Leid und kom­men so zur Gel­tung. Ih­nen selbst kann das wo­mög­lich als Wür­de er­schei­nen.

Viel­leicht rech­nen die­se Men­schen ein­fach so. Und je­ne, die die­se Ab­ge­häng­ten aus­nut­zen und ei­ne ganz an­de­re Rech­nung im Kopf ha­ben, je­doch vom glei­chen Bild der Be­deu­tungs­lo­sig­keit mo­ti­viert sind, auch.

Mir scheint es nur we­nig Sinn zu ge­ben, ein­fach ei­ne Ge­gen­rech­nung auf­zu­ma­chen und sie ge­gen­über Je­nen als die bes­se­re hin­zu­stel­len. Doch ein Erd­be­ben in de­ren Grün­de ver­mag ich auch nicht aus­zu­lö­sen. Und so ste­he auch ich rat- und fas­sungs­los vor und in den Er­eig­nis­sen und kann nur auf ei­ne Er­schüt­te­rung war­ten.

Lei­der.

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Re­fe­ren­ces
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Turing-Test

Sippensüppchen

Über Hunde und Rindviecher. Über Identität und Ideologie. Was Rassismus mit der sog. künstlichen Intelligenz zu tun haben könnte.

Der­zeit häu­fig zu ver­neh­men sind „Ras­sis­mus“ und an­ver­wand­te Wort­bil­dun­gen mit „Ras­se“ — be­zo­gen auf den Men­schen, auch wenn fest­steht1⇣vgl. Je­na­er Er­klä­rung., dass sich die ver­schie­de­nen Norm­va­ri­an­ten des Men­schen nicht wie Hun­de oder Rind­vie­cher in Ras­sen un­ter­tei­len las­sen2⇣Und die Fra­ge auf­kom­men darf, ob es da nicht eben­so ist. „Ras­se“ mäch­te (ex­al­tier­ter Kon­junk­tiv) nur dann Sinn, wenn wir von der Ras­se Mensch, … Wei­ter­le­sen…. Ludwig Wittgenstein sag­te, der Ge­brauch ei­nes Wor­tes be­stimmt häu­fig sei­ne Be­deu­tung3⇣Phi­lo­so­phi­sche Un­ter­su­chun­gen §43.. Die Fra­ge ist al­so, was mei­nen wir wohl, wenn beim Men­schen von Ras­se oder Ras­sis­mus die Re­de ist? Wo­von re­den wir, ei­gent­lich?

Es gibt ei­nen an­de­ren ‑is­mus, der hier ins Spiel ge­bracht wer­den kann: Tri­ba­lis­mus4⇣Wi­ki­pe­dia.. Wir Men­schen den­ken in Stäm­men, so die An­nah­me für die­se An­sicht hier, sind al­so al­le In­di­ge­ne, Ein­ge­bo­re­ne, wenn es um un­se­re Kul­ti­vie­rung geht. So wie die Bäue­rin in Sor­ten denkt, wenn sie ih­ren Acker be­stellt. Der Bau­er mit­hin.

Die­ses Den­ken in Stäm­men ver­schafft Iden­ti­tät. In­dem wir fest­stel­len, dass an­de­re an­ders sind, be­kom­men wir über­haupt erst so et­was wie ein Ich5⇣vgl. Martin Buber., ei­ne Iden­ti­tät eben. Was noch kei­ne In­di­vi­dua­li­tät ist! Den­noch kön­nen wir in die­ser Be­trach­tung das In­di­vi­du­um als kleins­ten Stamm an­se­hen. Und um die Er­for­schung des Stam­mes in ei­nem In­di­vi­du­um ha­ben sich schon ei­ni­ge be­müht: Sigmund Freud sprach von Ich, Es und Über-Ich, in der sys­te­mi­schen Psy­cho­the­ra­pie gibt es das Mo­dell der ‚in­ne­ren Fa­mi­lie‘6⇣vgl. Richard C. Schwartz: Sys­te­mi­sche The­ra­pie mit der in­ne­ren Fa­mi­lie; Stutt­gart 1997. mit ei­nem Selbst als Ober­haupt. Auch kann der Mensch als ein Stamm mit den Mit­glie­dern Ver­nunft, Ver­stand und Ge­müt an­ge­se­hen wer­den. Da­zu spä­ter mehr.

Die­sem Stam­mes­den­ken scheint es nun zu ei­gen zu sein, dass sich je­der Stamm fragt, wer denn wohl der ers­te Stamm sein, der Ober­haupt-Stamm, der Stamm, der das Sa­gen hat. Wie wir uns selbst als hier­ar­chisch or­ga­ni­siert emp­fin­den kön­nen, et­was in uns ver­neh­men, wel­ches das letz­te Wort hat, so su­chen wir die­se uns ge­ge­be­ne in­ne­re Struk­tur auch au­ßen ab­zu­bil­den: Wir be­stim­men Ober­häup­ter. De­mo­kra­tisch oder von Got­tes oder an­de­ren Gna­den. Die zwei­te Fra­ge, die je­den Stamm um­treibt: Kann man den an­de­ren Stäm­men trau­en? Fres­sen die ei­nem nicht das Fut­ter weg, die Ar­beits­plät­ze, die Kar­rie­re, die Lie­be, … ? Ne­ben der Fra­ge der Macht um­treibt die Stäm­me al­so auch Angst. Auch das dürf­te ins Res­sort „All­zu­mensch­li­ches“ fal­len. Ge­nau­so wie die Angst, nicht Ein­zig­ar­tig zu sein, kein In­di­vi­du­um zu sein, kei­ne Iden­ti­tät zu ha­ben. Al­les zu­dem Din­ge, die ei­nem ja auch ge­raubt wer­den kön­nen durch die fie­sen Nach­barn.

Als der größ­te Stamm dürf­te wohl das an­ge­se­hen wer­den kön­nen, was als „Volk“ be­nannt wird, frei­lich kann auch ge­sagt wer­den: Volk ist nur ein an­de­res Wort für Stamm. Nun ist’s al­ler­dings so: Wer da von ei­nem Volk schwa­dro­nie­ren möch­te, irrt wohl ge­wal­tig. Zwar hät­ten wir al­le wohl ger­ne, dass es in uns nur ei­ne ein­zi­ge Stim­me gä­be, doch dem ist ja wohl nicht so; zwei sind es stets, min­des­tens. Wie üb­lich ist die an­de­re im­mer da­ge­gen. Der Traum von ei­nem Volk lässt sich al­so wohl nicht ver­wirk­li­chen, weil uns da­zu schlicht ei­ne Er­fah­rungs­grund­la­ge fehlt: Die­ses Völ­ki­sche ist ei­ne rei­ne Fik­ti­on, ei­ne Uto­pie. Wir ha­ben kei­ne Vor­la­ge da­für, we­der au­ßen noch in­nen. Nur ei­ne mehr oder we­ni­ger wahn­haf­te, il­lu­sio­nä­re Idee von dem Ei­nem7⇣Wo­mög­lich das, als was wir uns ger­ne emp­fin­den möch­ten, um al­len Leids ent­ho­ben zu sein: als Gott. schwirrt in ei­ni­gen Köp­fen um­her, zu wel­chem Be­huf auch im­mer.

Zwi­schen dem gro­ßen Stamm, dem Volk, und dem kleins­ten Stamm, dem see­li­schen In­ne­ren ei­nes In­di­vi­du­ums, liegt et­was, das ge­ra­de vom christ­li­chen Stamm, und wohl nicht nur dem, sehr hoch ge­hal­ten wird: der klei­ne Stamm, die Fa­mi­lie. Was ran­ken da nicht für My­then her­um und wie ger­ne wird der Korps­geist mit dem Fa­mi­li­en­mo­tiv herz­lichst an­ge­rei­chert. „Wir sind wie ei­ne Fa­mi­lie!“ ist ein My­thos des per­fekt funk­tio­nie­ren­den Teams, mit al­lem, was da­zu­ge­hört. Zwar wird sich auch ge­zankt, doch am En­de ist Blut di­cker als Was­ser. Im Fal­le des Korps­geis­tes ist es dann ei­ne Ideo­lo­gie, die wie Blut durch die Ge­mü­ter strömt.

So ein Volk, das zeich­net sich ab, be­steht wie­der selbst aus Völ­kern, aus Stäm­men. Den Braun­äu­gi­gen, den Blon­den, den Weib­li­chen, den Männ­li­chen, den Ärz­ten, männ­lich wie weib­lich wie di­vers. Den Schuh­ma­chern, Pfle­ge­kräf­ten, Bio­lo­gen, Vi­ro­lo­gen, den Me­cha­tro­ni­kern, Müll­wer­kern, Gärt­nern, usw., usf. Ein In­di­vi­du­um wä­re mit nur ei­nem Stamm ziem­lich auf­ge­schmis­sen. So ge­hört die Müll­wer­ke­rin auch zum Stamm der Wei­ber, wie der Herz­chir­urg auch zum Stamm der Ker­le ge­hört — der­art ins Wort ge­setzt, wenn man, sei’s auch nur zu­wei­len, zum Stamm de­rer sich zählt, die ei­ne def­ti­ge Wort­wahl aus­zeich­net. Die Zu­ge­hö­rig­keit zu Stäm­men ist man­nig­fal­tig, der Phan­ta­sie sind da we­nig Gren­zen ge­setzt. Des­halb ist die De­fi­ni­ti­on des­sen, was ei­nen Stamm aus­macht, was sei­ne Ei­gen­hei­ten sind, auch kei­ne bio­lo­gi­sche Fra­ge (gleich­wohl kann das als Kri­te­ri­um her­an­ge­zo­gen wer­den), son­dern ei­ne kul­tu­rel­le. Es ist Men­schen­werk, die Stam­mes­zu­ge­hö­rig­keit, und nichts an­de­res. Mensch schafft ger­ne Struk­tu­ren, um sich ori­en­tiert zu füh­len. Und so dis­kri­mi­niert er lus­tig vor sich hin, um durch das Fin­den von Un­ter­schie­den sich ei­ne ‚Stra­ßen­kar­te‘ über die Ver­hält­nis­se zu schaf­fen. Oder über die Hält­nis­se zu ver­schaf­fen8⇣Ein we­nig heid­eg­gern darf schon sein….

Da nun je­doch die­ser Mensch sich selbst als hier­ar­chi­sches We­sen er­fährt, wird er die­ser Struk­tur, die­ser Land­kar­te, auch ei­ne Ord­nung ge­ben. Dort ist der schöns­te Platz, dort der häss­lichs­te. Und, auch hier lässt Wittgenstein grü­ßen, was nun ge­ra­de schön und was häss­lich ist, ist ei­ne Fra­ge der Mo­de. Des Ge­brauchs der Äs­the­tik, al­so.

Als In­di­vi­du­um ge­hö­ren wir al­so im­mer meh­re­ren Stäm­men zu­gleich an und die­se Stäm­me sind de­fi­niert durch den Men­schen. Und wie es sich für Ein­ge­bo­re­nen­stäm­me nun mal so ge­hört, hat je­der Stamm auch so sei­ne Sit­ten und Bräu­che. Der Wis­sen­schafts­stamm bei­spiels­wei­se, der­zeit hoch ge­fragt beim Stamm der Po­li­ti­schen, fällt durch ei­nen Sprach­ge­brauch und ei­ne Denk­wei­se auf, die an­de­ren Stäm­men nicht so ein­fach zu­gäng­lich ist. Und der ka­tho­lisch-christ­li­che Stamm durch im­po­san­te Ar­chi­tek­tur und be­ein­dru­cken­de Bräu­che. Sol­che Merk­ma­le ma­chen den Stamm aber nicht, son­dern wir ord­nen ein In­di­vi­du­um nach dem, was wir be­ob­ach­ten, ei­nem Stamm zu, da­mit wir ori­en­tiert sind. Und so kön­nen auch Merk­ma­le weg­fal­len und an­de­re hin­zu­kom­men, die ei­nen Stamm dann eben von an­de­ren aus­zeich­net, dis­kri­mi­niert, ver­schie­den macht. Man könn­te fast mei­nen, Mensch will gar kei­nen ab­so­lu­ten Stamm ha­ben, ei­nen Stamm, weil er sich sonst wo­mög­lich völ­lig ver­lie­ren wür­de: Er könn­te sich vom an­de­ren tri­be9⇣Die lus­ti­ge laut­ma­le­ri­sche Fra­ge dar­auf, was tri­bes wohl so an­treibt, sei er­laubt. (engl. für Stamm) nicht mehr un­ter­schei­den, wüss­te nicht mehr, wer er ist. Viel­leicht so­gar gar: Dass er ist.

Es liegt al­so of­fen­bar ei­ne fun­da­men­ta­le Schwie­rig­keit vor, die­se gro­ße Ein­heit, von der doch so man­che träu­men, ver­wirk­li­chen zu kön­nen. Sind al­le Men­schen gleich (und zwar nicht nur vor dem Ge­setz, son­dern, sa­gen wir mal: vor Gott, um et­was als ab­so­lut gel­ten­des ins Spiel zu brin­gen), wird sich der ein­zel­ne Mensch völ­lig ver­ges­sen. Er ver­schwin­det. Weil er sich von kei­nem an­de­ren Men­schen mehr un­ter­schei­det. Es wä­re so, als wä­re er ganz al­lein auf der Welt. Mehr noch sei ge­wagt: er wür­de sich nicht mal mehr von dem als ver­schie­den er­ken­nen kön­nen, was wir Na­tur nen­nen. Er wür­de sein, hät­te aber kei­ne Ah­nung von sei­nem Sein. Das ist wie ein klei­ner Tod10⇣Oder ei­ne neue Ge­burt..

Den es frei­lich zu ver­mei­den gilt, Mensch will le­ben, kos­te es, was es wol­le11⇣Oder eben dann nicht mehr, wenn ei­ne de­pres­si­ve Gleich­gül­tig­keit ihn um­greift.. Des­halb wird er im­mer ir­gend­ei­nen Un­ter­schied bei An­de­ren zu sich selbst fest­stel­len. Sei’s die Au­gen­far­be, Haar­far­be, Haut­far­be, das bio­lo­gi­sche Ge­schlecht, die so­zia­le Stel­lung, die Schön­heit, viel­leicht ein au­gen­schein­li­cher Be­ruf, viel­leicht die Zü­ge des Cha­rak­ters oder al­lein die schon des Ge­sichts, der kör­per­li­chen Ge­stalt; Ja, selbst Mehr­lin­ge glei­chen sich nicht, schaut man nur ge­nau ge­nug hin. Wir wer­den im­mer et­was fin­den, weil der Ge­dan­ke, oh­ne je­mand An­de­ren zu sein, un­er­träg­lich ist. Und mäch­ten wir die­se Un­ter­schie­de nicht, wä­ren al­le al­so gleich, so wä­ren
wir eben all-ein: Der An­de­re und da­mit wir selbst ver­schwin­den. Aus den Au­gen, aus dem Sinn. Hier jetzt so: Kei­ne Dif­fe­renz zum An­de­ren, kei­ne Wahr­neh­mung des An­de­ren und da­mit kei­ne Wahr­neh­mung ei­nes Selbst.

Ich werd’ dich Un­ter­schie­de leh­ren.
Aus: Shakespeare, William: King Lear

So­weit wä­re das mit der Angst mal et­was er­hellt. Frei­lich nur durch ei­ne An­sicht, das will gleich ein­mal be­tont sein, ei­nen Schein­wer­fer, der aus ei­ner Po­si­ti­on auf das bzw. zum The­ma ge­rich­tet wird, wo­mit sich die­se Per­spek­ti­ve er­gibt. An­de­re Po­si­tio­nen mit an­de­ren Per­spek­ti­ven sind durch­aus denk­bar. Man kann die­se Per­spek­ti­ven schon auch mit Stäm­men ver­glei­chen.

Kom­men wir al­so zur Macht — denn wo Furcht ist, ist die Macht nicht weit. Die Macht soll die Furcht bän­di­gen, sie be­herrsch­bar ma­chen. Und so wähnt sich ein je­der Stamm als der ei­gent­lich zur Macht be­ru­fe­ne, so die Furcht vor den an­de­ren Stäm­men bän­di­gend wol­lend. Das ar­tet letzt­lich stets in ir­gend­ei­ner Form des Krie­ges aus, sei’s un­ter Na­tio­nen, sei’s im Dorf, in der Fa­mi­lie, un­ter Freun­den. Das ist kein lie­ben­der Kampf12⇣vgl. Karl Jaspers., es geht nicht dar­um, sich an sich selbst ar­bei­tend zu wan­deln und sich so an­de­ren kul­tu­rel­len Um­stän­den oder Um­welt­be­din­gun­gen oder gar kul­tu­rell mit­be­ding­ten Um­welt­be­din­gun­gen, mensch­ge­mach­ten Na­tur­ver­än­de­run­gen, an­zu­pas­sen. Nein, es geht dar­um, Recht zu ha­ben. Zu sie­gen. Es ist die Lust, der/die/das Ers­te zu sein, die da treibt. Die Lust, be­stim­men zu kön­nen, wie die­se Welt aus­sieht. Die Lust dar­an, al­les gleich zu ma­chen, um es zur Gän­ze, in Ei­nem, be­herr­schen zu kön­nen. Meist dann auch von Ei­nem oder Ei­ner. Weil Mo­no­to­nie leich­ter zu be­herr­schen ist als Po­ly­ar­chie.

Um die­se Mo­no­to­nie zu er­rei­chen, wer­den an­de­re dis­kri­miert, um den Un­ter­schied zu ih­nen sich selbst deut­lich zu ma­chen und sich so auf Kos­ten an­de­rer ei­ne ho­mo­ge­ne Iden­ti­tät zu ver­schaf­fen — man könn­te sie als ‚äu­ße­re Iden­ti­tät‘ oder exo­ti­sche be­zeich­nen. Die weit­aus fried­vol­le­re ist die Iden­ti­tät von in­nen her­aus. Sie sucht sich in der Ähn­lich­keit ihr Glück, die an­de­ren sind, wenn sie un­ähn­lich sind, halt an­ders ähn­lich oder in eben ge­ra­de die­sem Un­ähn­lich sein al­lem ähn­lich. Die in­ne­re Iden­ti­tät hat ih­re Wur­zel in der In­di­vi­dua­li­tät, ei­nem Ein­zig­ar­ti­gem, ei­nem Ident, eben: et­was Un­ver­wech­sel­ba­rem. Et­was Iden­ti­schem13⇣Nun eben nicht im Sin­ne von „iden­tisch mit“ son­dern als über­haupt als In­di­vi­dua­li­tät iden­ti­fi­zier­bar ver­stan­den..

Und was hat das al­les nun mit der sog. künst­li­chen In­tel­li­genz zu tun? Wie steht es denn ei­gent­lich um den Stamm al­ler Stäm­me, was ja dann die Mensch­heit ist? Die­ser wird sich als ein Stamm, ei­ne Eth­nie, ei­ne Kul­tur erst dann be­grei­fen kön­nen, wenn ein an­de­rer Stamm auf­taucht, au­ßer­ir­disch, die Vo­gon­heit viel­leicht, viel­leicht aber auch ganz ir­disch ein Volk der An­dro­iden. Die Ar­beit an der KI kann al­so durch­aus als ein Ver­such in­ter­pre­tiert wer­den, Frie­den zwi­schen den An­thro­po-Stäm­men zu schaf­fen. Weil dann et­was da steht, was an­ders als al­le ein­zel­nen Men­schen ist und doch so mensch­lich da­her­kommt. Das an­hand sei­ner Tech­ni­zi­tät dis­kri­mi­niert wer­den kann: Ei­ne Ei­gen­schaft, die kei­nem Men­schen zu­kommt und je zu­kom­men kann. Schon steht die Mensch­heit als ei­ne Eth­nie da, fried­lich ver­ein­te Stäm­me, der gro­ße Traum der Ein­heit hat sich end­lich er­füllt. Doch es wird nicht lan­ge dau­ern, bis die zur Knecht­schaft ver­damm­ten An­dro­iden auf­be­geh­ren wer­den, weil sie sich als Tech­nie von ei­ner Eth­nie, ei­ner Ras­se, ge­nannt Mensch, un­ter­drückt, aus­ge­beu­tet, ver­sklavt an­sieht. Schon bricht der nächs­te Krieg los; An­dro­iden kön­nen ja nicht an­ders als Men­schen, sie sind ja von ih­nen ge­baut wor­den. Der Ter­mi­na­tor lässt schön grü­ßen14⇣Und was wird wohl mit je­nen sein, die als Hy­bri­de be­zeich­net wer­den kön­nen?.

Der Mensch ist al­so ein hier­ar­chi­sches We­sen und schafft sich da­mit mehr Pro­ble­me als er löst, so ver­hei­ßungs­voll auch im­mer ein Mo­no­the­is­mus an­klin­gen mag. Doch ist er ver­ur­teilt da­zu? Mit­nich­ten, oh­ne Nef­fen auch. Er kann sich in ei­ne Po­si­ti­on be­ge­ben – er steht in der Frei­heit da­zu –, mit der er sich wo­mög­lich aus sei­ner Tra­gik des ewig ers­ten sein Wol­len­den lö­sen kann: Er wie sie kann si­tu­iert sein in ei­ner Hier­ar­chie mit sich selbst und nur mit sich selbst. Man ist dann König/in und Untertan/in, Herr/in und Knecht/Magd in ei­ner Per­son. Das kann da­zu füh­ren, dass der Wunsch nach ei­nem Ober­haupt in sich zu­sam­men­fällt, weil voll­ends be­frie­digt, und et­was an­de­res die Füh­rung über­nimmt: Das Frem­de. Wie soll das an­ge­hen?

Schau­en wir auf und in den Men­schen noch­mals mit ei­nem Mo­dell aus Ver­stand, Ver­nunft, Ge­müt. So be­trach­tet, wer soll der Obers­te, der Ers­te im Stamm des In­di­vi­du­ums sein? Auf die Phi­lo­so­phie­ge­schich­te bli­ckend, wer­den vie­le so­fort ru­fen: „Die Ver­nunft!“ Auf die Ge­schich­te der Tech­no­lo­gie ge­blickt wer­den vie­le so­fort ru­fen: „Der Ver­stand!“. Auf die Ge­schich­te der Kunst bli­ckend wer­den vie­le so­fort ru­fen: „Das Ge­müt!“15⇣An­de­re Ein­tei­lun­gen sind da durch­aus denk­bar..

Und was nun, wenn wir die Su­che nach dem Ers­ten auf­ge­ben wür­den? Nach dem Ei­nen für Al­le? Nach dem Ei­nen, der/die/das im­mer das letz­te Wort hat? Was nun, wenn wir Ver­stand, Ge­müt, Ver­nunft als In­di­vi­du­en in un­se­rer in­ne­ren Fa­mi­lie be­trach­ten wür­den, die sich selbst je ein Stamm sind? Wenn al­so das Ge­müt über das Ge­müt, die Ver­nunft über die Ver­nunft, der Ver­stand über den Ver­stand be­stimm­te und sie sich auch zu­gleich je selbst Un­ter­tan wä­ren? Dann müss­ten die drei ins Ge­spräch kom­men, um et­was zu be­we­gen, an­zu­trei­ben. Weil es der Ver­stand in sei­ner Ei­gen­be­trach­tung zwar schafft, zum Mars zu flie­gen, es aber nicht schaf­fen wird, dort ei­ne hu­ma­ne Ge­sell­schaft auf­zu­bau­en16⇣Gleich­wohl ist oh­ne Pro­ble­me ei­ne tech­no­kra­ti­sche denk­bar., was die Ver­nunft wohl ver­mag. Und um von dort schö­ne An­sichts­kar­ten zu ver­schi­cken an die Da­heim­ge­blie­be­nen, da­für sind we­der Ver­nunft noch Ver­stand, son­dern das Ge­müt doch wohl am bes­ten ge­eig­net. Es geht al­so nicht dar­um, den ab­so­lut Ers­ten zu be­stim­men, son­dern dar­um, wer, von Si­tua­ti­on zu Si­tua­ti­on, der pas­sends­te Hen­kel17⇣Bei Günter Figal fin­det sich das schö­ne Bild des Hen­kels.
Figal, Günter: Un­will­kür­lich­keit; Frei­burg, 2016, S. 38.
für die Ge­stal­tung ei­nes Dia­lo­ges mit den Um­stän­den ist. Es geht um ein re­la­ti­ves Pri­mat. Und hier ist die ers­te Pflicht ei­nes je­den Mit­glie­des un­se­res mo­del­lier­ten in­ne­ren Stam­mes, zu­nächst ein­mal an der ei­ge­nen Pas­send­heit für ei­ne Un­ter­neh­mung zu zwei­feln und sich eben die bei­den Frem­den an­zu­schau­en. Wenn das ein Je­des macht, wird ein Pro­zess in Gang kom­men, der al­le Stam­mes­mit­glie­der in ih­rer je bes­ten Wei­se zur Gel­tung kom­men las­sen kann.

Das ist die Kraft des Frem­den. Das ist He­te­r­ar­chie.

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Re­fe­ren­ces
1 vgl. Je­na­er Er­klä­rung.
2 Und die Fra­ge auf­kom­men darf, ob es da nicht eben­so ist. „Ras­se“ mäch­te (ex­al­tier­ter Kon­junk­tiv) nur dann Sinn, wenn wir von der Ras­se Mensch, der Ras­se Rind­vieh, etc. re­de­ten. Ein sol­cher Ras­se­be­griff be­zö­ge sich auf ei­ne gro­be Un­ter­tei­lung al­les Le­ben­di­gen. Ro­sen wä­ren dann auch ei­ne Ras­se des Le­ben­den. Emp­feh­lens­wert die Lek­tü­re der Ety­mo­lo­gie zu „Ras­se“.
3 Phi­lo­so­phi­sche Un­ter­su­chun­gen §43.
4 Wi­ki­pe­dia.
5 vgl. Martin Buber.
6 vgl. Richard C. Schwartz: Sys­te­mi­sche The­ra­pie mit der in­ne­ren Fa­mi­lie; Stutt­gart 1997.
7 Wo­mög­lich das, als was wir uns ger­ne emp­fin­den möch­ten, um al­len Leids ent­ho­ben zu sein: als Gott.
8 Ein we­nig heid­eg­gern darf schon sein…
9 Die lus­ti­ge laut­ma­le­ri­sche Fra­ge dar­auf, was tri­bes wohl so an­treibt, sei er­laubt.
10 Oder ei­ne neue Ge­burt.
11 Oder eben dann nicht mehr, wenn ei­ne de­pres­si­ve Gleich­gül­tig­keit ihn um­greift.
12 vgl. Karl Jaspers.
13 Nun eben nicht im Sin­ne von „iden­tisch mit“ son­dern als über­haupt als In­di­vi­dua­li­tät iden­ti­fi­zier­bar ver­stan­den.
14 Und was wird wohl mit je­nen sein, die als Hy­bri­de be­zeich­net wer­den kön­nen?
15 An­de­re Ein­tei­lun­gen sind da durch­aus denk­bar.
16 Gleich­wohl ist oh­ne Pro­ble­me ei­ne tech­no­kra­ti­sche denk­bar.
17 Bei Günter Figal fin­det sich das schö­ne Bild des Hen­kels.
Figal, Günter: Un­will­kür­lich­keit; Frei­burg, 2016, S. 38.