Denkzettel 408

Ob un­ser Wil­le frei ist, kön­nen wir letzt­lich wohl nicht sa­gen. Was wir in­des wohl sa­gen kön­nen: Ob wir das, was un­ser Wil­le uns auf­for­dert zu tun, auch tat­säch­lich tun, ist al­lein durch die Ver­nah­me des Wil­lens noch lan­ge nicht aus­ge­macht — wir müs­sen un­se­ren Wil­len schon auch wol­len, be­vor er ge­sche­hen kann. Der Wil­le mag un­frei sein, nicht kon­tin­gent, auch wenn wir die Be­din­gun­gen nicht er­schlie­ßen kön­nen, die ei­nen Wil­len not­wen­di­ger­wei­se in Er­schei­nung tre­ten lässt, und ihn al­lein des­halb für frei hal­ten. Doch im Wol­len die­ses Wil­lens, da sind wir frei. Wir kön­nen im­mer „Nein!“ sa­gen, un­ab­hän­gig von den Be­din­gun­gen. (Frei­lich sind die Kon­se­quen­zen der Ent­schei­dung, al­so des Tuns, des Wol­lens­voll­zu­ges, zu tra­gen, die ab­seh­ba­ren wie un­ab­seh­ba­ren.)

Denkzettel 252

(Am Wol­len vor­bei zum Wil­len.) Dass Wol­len soll­te vom Wil­len ge­tra­gen wer­den, und nicht vom (am) Hirn mit sei­ner Gier nach En­er­gie (ab)hängen. Es lebt da­von und da­durch und kann da­von – prin­zi­pi­ell – nicht ge­nug ha­ben, das ist ei­ne Über­le­bens­stra­te­gie. Gleich­wohl ist ein Kind des Hirns, der Geist, als wohl­ver­stan­de­nes Me­ta­ver­sum des Hirns, als Ver­nunft, in der La­ge, den En­er­gie­be­darf zum Wohl des Men­schen zu re­gu­lie­ren. (Zu­cker gilt als ein En­er­gie­lie­fe­rant, und man­che wol­len ei­nen Berg da­von … ver­kau­fen.)

Denkzettel 251

Man tut wo­mög­lich gut dar­an, sich vom Wil­len lei­ten zu las­sen, statt vom Wol­len. Von der be­son­ne­nen Ver­nunft; nicht vom Ver­stand, ge­führt von Gier.
(Ne­ben Ver­nunft, Ver­stand und Ge­müt gibt es wohl noch ei­ne In­stanz, die mensch­li­cher Exis­tenz zu be­ein­flus­sen ver­mag: der Kör­per mit sei­nen Be­gier­den, mit sei­nen Ängs­ten.)

Zitat 32

Les­sing, der man­cher­lei Be­schrän­kung un­wil­lig fühl­te, läßt ei­ne sei­ner Per­so­nen sa­gen: „Nie­mand muß müs­sen.“ Ein geist­rei­cher froh­ge­sinn­ter Mann sag­te: „Wer will, der muß.“ Ein drit­ter, frei­lich ein Ge­bil­de­ter, füg­te hin­zu: „Wer ein­sieht, der will auch.“

Und so glaub­te man den gan­zen Kreis des Er­ken­nens, Wol­lens und Müs­sens ab­ge­schlos­sen zu ha­ben. Aber im Durch­schnitt be­stimmt die Er­kennt­nis des Men­schen, von wel­cher Art sie auch sei, sein Tun und Las­sen; des­we­gen auch nichts schreck­li­cher ist, als die Un­wis­sen­heit han­deln zu se­hen.

Jo­hann Wolf­gang v. Goe­the