Denkzettel 397

Bei den Wor­ten „be­dingt“ und „un­be­dingt“ kann man schon auf den Ge­dan­ken kom­men, ers­te­res brin­ge Not­wen­dig­keit zum Aus­druck, letz­te­res Frei­heit. Wit­zi­ger­wei­se set­zen wir mit For­mu­lie­run­gen wie z.B. „Das muss jetzt un­be­dingt ge­sche­hen.“ und „Da stim­me ich be­dingt zu.“ et­was Ge­gen­tei­li­ges ins Wort.

Die Moral der Ethik

Sollte der „Deutsche Ethikrat“ nicht eher ein „Ethischer Rat“ sein?

Nach der On­line-Ta­gung des deut­schen Ethik­ra­tes mit dem Ti­tel »Selbst­ver­mes­sen: Ethik und Äs­the­tik ver­än­der­ter Kör­per­lich­keit.«1⇣Im In­ter­net soll­ten die Bei­trä­ge zu fin­den sein. gab es für je­ne, die die Ver­an­stal­tung ver­folg­ten, zum Ab­schluss noch ei­nen Fra­ge­bo­gen, des­sen letz­te Fra­ge lau­te­te, wel­cher The­men sich der Ethik­rat noch an­neh­men soll­te. Ob die­se An­sicht hier noch ih­ren Adres­sa­ten er­reicht hat, ist frag­lich. Ein tech­ni­sches Pro­blem ließ nicht zwei­fels­frei er­ken­nen, ob das State­ment über­mit­telt wur­de. Ein gu­ter Grund, es hier, et­was er­wei­tert, noch­mals kund­zu­tun.

Im Zu­ge der ak­tu­el­len Pan­de­mie hat der Au­tor die­ser An­sicht den deut­schen Ethik­rat über­haupt erst­mal als ge­sell­schaft­li­ches Mo­ment wahr­ge­nom­men, al­ler­dings je­doch in ei­ner Wei­se, die ihm das Wort und die Be­deu­tung „Kir­che“ ab­zu­rin­gen hat. Die Äu­ße­run­gen „der Po­li­ti­schen“ da­bei im Ohr, die ih­re Ent­schei­dun­gen mit den Emp­feh­lun­gen je­nes Ethik­ra­tes ab­si­cher­ten. Dar­an ist zu­nächst gar nichts aus­zu­set­zen, Ex­per­ti­sen von fach­kun­di­ger Sei­te ein­zu­ho­len. Doch wer­den die­se dann in ei­ner Wei­se ge­braucht, aus der schon die Ver­ant­wor­tungs­last er­kenn­bar wird, soll­te sich die Ent­schei­dung als falsch er­wei­sen, dann ist frei­lich Ob­acht an­ge­sagt. Die Wis­sen­schaft – und zwar als sol­che, un­dif­fe­ren­ziert nach Fä­chern – wird auch mehr und mehr die Rol­le ei­ner obers­ten Kom­pe­tenz und da­mit dann auch Ver­ant­wor­tung zu­ge­schus­tert, könn­te man mei­nen2⇣Im An­ge­sicht des der­zei­ti­gen Ver­hal­tens der Po­li­tik (In­zi­denz über 300: die Wis­sen­schaft re­det sich den Mund fus­se­lig und die Po­li­tik re(a)giert … Wei­ter­le­sen…. Die Fra­ge ist nur, ob das so gut ist. Und frei­lich sei hier an­ge­merkt: Zu die­sem Spiel ge­hö­ren min­des­tens zwei. Und ein Ethik­rat, der sich der Ver­lo­ckung aus­ge­setzt sieht, Macht zu zei­ti­gen, Ein­fluss aus­zu­üben, über­nimmt dann wohl auch gern Ver­ant­wor­tung. Und nein: der Au­tor hält Philosoph_innen und/oder Ethiker_innen nicht für die bes­se­ren König_innen. Pla­ton hin oder her.

So ge­langt der Ver­fas­ser hier zu der An­sicht, der Rat soll­te sich in Selbst­be­gren­zung üben und nicht als Rat­ge­ber in Er­schei­nung tre­ten („Ver­mes­sen­heit!“), son­dern als In­sti­tu­ti­on, mit der sich be­ra­ten wer­den kann, als Kom­pe­tenz­zen­trum in Fra­gen der Mo­ral in viel­fa­cher Hin­sicht, nicht als Ex­cel­lenz­clus­ter in der Tech­ni­sie­rung („Ver­mes­sung“) des Ethi­schen. Ja, frei­lich, auch ein Ethik­rat steht im The­ma der Ta­gung und sucht sich selbst zu op­ti­mie­ren. Doch der Ein­druck kann ge­weckt wer­den, dass die­se Op­ti­mie­rung den Cha­rak­ter der Ver­bes­se­rung ei­ner Ma­schi­ne hat, nicht die ei­ner ad­äqua­te­ren Stim­mig­keit mit ei­nem Welt­gan­zen. Und ja, der Ge­dan­ke sieht das Wort Ethik in ei­nem Sinn mit Ma­the­ma­tik. Das Post­fix „-ik“ als Mar­kie­rung in­ter­pre­tiert, dass das Fach sich durch ir­gend­ei­ne tech­ni­sche Me­tho­de cha­rak­te­ri­siert3⇣Hier so al­so die des Rech­nens.. Nicht ganz ast­rein, doch für das An­lie­gen hier be­den­kens­wert. Und ein Rat in dem Sin­ne, wie er sich hier zei­gen möch­te, gibt kei­ne Rat­schlä­ge, auch wenn sie Emp­feh­lun­gen ge­nannt wer­den4⇣Das soll die Auf­ga­be von Kom­mis­sio­nen sein..

Ein Rat, wie er hier sich als Ide­al zei­gen möch­te, soll­te ei­nen Rah­men schaf­fen, in der für je­man­den, der_die Ver­ant­wor­tung zu tra­gen be­reit ist, ein Feld, ein Raum, ei­ne Sphä­re ge­schaf­fen wird, zu seiner_ihrer Ent­schei­dung, die er_sie zu ver­tre­ten ge­willt ist, zu kom­men — und zwar nun eben, des­halb das Um­feld ei­nes Ra­tes, nicht nur auf der ei­ge­nen Sicht in die Welt und ihr Ge­sche­hen fun­diert. Ein Ethik­rat, der sich bei sei­nen Emp­feh­lun­gen dann auf Wis­sen­schaft be­ruft, macht letzt­lich auch nichts an­de­res als die Kul­tur­tech­nik des „Der/Die/Das hat ge­sagt, dass…, und der/die/das muss es wis­sen!“ an­zu­wen­den. Ein so agie­ren­der Rat macht sich zum po­li­ti­schen Agen­ten, d. h., er ver­folgt ei­nen Zweck — da­bei hät­te er nur Mit­tel zu sein. Schick­sal ei­nes Ra­tes.

So soll­te sich der „Deut­sche Ethik­rat“ zu ei­nem „Ethi­schen Rat“ wan­deln und ver­stärkt da­zu bei­tra­gen, dass Politiker_innen wie je­ne, die die Ent­schei­dun­gen der Politiker_innen be­tref­fen (das „-ik“ sei hier be­ach­tet!), zu mehr Ei­gen­ver­ant­wor­tung mo­ti­viert wer­den, statt nun eben in ei­nem Ethik­rat ein In­stru­ment zur Ver­ant­wor­tungs­ver­wäs­se­rung und –ver­schie­bung zu se­hen und weid­lich zu nut­zen. Der da­selbst sich dann die Wis­sen­schaft als Rat­ge­be­rin sucht. Wis­sen­schaft al­ler­dings, die mehr und mehr un­ter ei­nem Man­tra des Quan­ti­ta­ti­ven, des Mess­ba­ren, des Re­sul­ta­tes, steht. Wis­sen­schaft, die wie Tech­nik an­mu­tet.

Wird ein Rat näm­lich in sol­cher Wei­se miss­braucht, al­so als vor­aus­ei­len­de Ent­schul­di­gung für den Fall ei­ner Fehl­ent­schei­dung, kann es all­zu leicht pas­sie­ren, dass Ver­ant­wor­tung auf dem Spiel­tisch hin- und her­ge­scho­ben wird — bis ir­gend­wann bei je­nen, die Ori­en­tie­rung su­chen, an­ge­fan­gen wird, nach den „star­ken Kräf­ten“ Aus­schau zu hal­ten. Ein­stel­lun­gen, wie sie im sehr rech­ten po­li­ti­schen Spek­trum an­zu­tref­fen sind, die all­täg­lich wer­den, mö­gen da als In­diz her­hal­ten und ein An­zei­chen für ei­nen be­reits lau­fen­den Pro­zess sein.

Und frei­lich soll­te ein sol­cher Ethi­scher Rat sich im Zu­ge (s)einer Selbst­re­fle­xi­on da­mit be­fas­sen, wie der Mut zur Ei­gen­ver­ant­wor­tung (und das meint ei­nen wirk­lich li­be­ra­len, des­sen Ziel nur das So­zia­le sein kann, und kei­nen neo­li­be­ra­len Sinn, der ei­ne Aso­zia­li­tät im Sin­ne ei­ner Eli­ten­bil­dung, die oh­ne Mob ja kei­ne Eli­te sein kann, zei­tigt) be­reits vom Kin­der­gar­ten und dann le­bens­lang ge­stärkt wer­den kann — oh­ne die­ses Feld den n. A. d. A. letzt­lich ar­chai­schen Mo­ti­ven der Kir­chen, gleich ob bud­dhis­tisch, christ­lich, hin­du­is­tisch, is­la­misch,… zu über­las­sen. Re­li­gi­ons­un­ter­richt (lat. relegere/religare als grund­le­gen­der An­satz, nicht: Glau­be) ist ein gu­ter An­satz da­für: Nur in­des, wenn es die Re­li­giö­si­tät des Men­schen an­spricht, die als sol­che und an sich kei­ner Kir­che be­darf. Kir­chen nut­zen das re­li­giö­se Be­dürf­nis des Men­schen, sei­nen Hun­ger nach Sinn und Ge­währ­leis­tung, für ih­re Zwe­cke und Zie­le. Sie sor­gen nicht für die Fä­hig­keit zur Ei­gen­re­li­giö­si­tät, son­dern ver­su­chen sich dar­in, die­se zu eli­mi­nie­ren. Sinn und Welt­ver­ständ­nis – pa­the­tisch: Welt­ge­bor­gen­heit; nüch­ter­ner: Welt­an­schau­ung – wer­den zu ei­nem Pro­dukt, dass um den Preis ei­ner Kon­fes­si­on ge­kauft wer­den kann — und nicht zu ei­nem Ge­winn, der selbst er­schaf­fen, und nicht er­wirt­schaf­tet, ‚ver­dient‘, wur­de. Krea­ti­ves (Er-)Gebnis ei­ner Kunst, nicht aus­ge­rech­ne­tes Re­sul­tat ei­ner Tech­nik.

Die­se selbst aus­ge­üb­te Sinn­kom­pe­tenz hät­te wohl den frei­en und des­halb so­zia­len, mit­hin: ethi­schen Men­schen zur Fol­ge.

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Re­fe­ren­ces
1 Im In­ter­net soll­ten die Bei­trä­ge zu fin­den sein.
2 Im An­ge­sicht des der­zei­ti­gen Ver­hal­tens der Po­li­tik (In­zi­denz über 300: die Wis­sen­schaft re­det sich den Mund fus­se­lig und die Po­li­tik re(a)giert nicht…) ist das hier in­des um ein „Wenn’s g’rad’ in den Kram passt“ zu er­wei­tern.
3 Hier so al­so die des Rech­nens.
4 Das soll die Auf­ga­be von Kom­mis­sio­nen sein.

Denkzettel 183

Je­der hat auf die An­sprü­che an­de­rer Rück­sicht zu neh­men, lässt sei­ne Frei­heit, sei­ne: Macht, zu Guns­ten an­de­rer fah­ren, führt, zum En­de hin ge­dacht, in ei­ne an­ar­chis­ti­sche (=in­dif­fe­ren­te) Star­re, die Frei­heit ver­flüch­tigt sich in Al­len. Das Ge­gen­teil, je­der ver­sucht sei­ne Frei­heit auf Kos­ten an­de­rer durch­zu­set­zen, führt zu ei­ner ar­chai­schen (=to­ta­li­ta­ris­ti­schen) Star­re, die Frei­heit ver­fes­tigt sich in Ei­nem. Wol­len wir al­le frei le­ben und dies al­len an­de­ren auch zu­ge­ste­hen – und da­von ist lei­der nur idea­ler­wei­se ver­nünf­ti­ger­wei­se aus­zu­ge­hen – bleibt wohl nichts an­de­res, als die We­ge in die Er­star­rung zu mei­den.

Denkzettel 104

Mit der KI – und nicht nur da­mit – ver­su­chen wir mensch­li­che Ma­schi­nen­skla­ven zu züch­ten — auf dass end­lich al­le Men­schen Her­ren wer­den (könn(t)en).

Doch: Wes­halb so mensch­lich? Lasst uns doch ein­fach nur Ma­schi­nen bau­en, die für uns bloß nütz­li­che Mit­tel sind. Um am bes­ten sol­che, die wir nicht auch noch be­die­nen müs­sen, um für un­se­re Zwe­cke dien­lich zu sein.

Wir wol­len doch letzt­lich frei sein, Zeit für uns, un­se­re Liebs­ten und un­se­re Lei­den­schaf­ten ha­ben — und al­so kei­ne be­diens­te­ten Ge­bie­ter über herr­schaft­li­che Skla­ven sein.

Au­ßer frei­lich, dies ist ei­ne Lei­den­schaft…