Religion ist für Leute, die Angst vor der Hölle haben. Spiritualität ist für Leute, die dort gewesen sind.
Kategorie: Religion
Zitat 46
Die Kunst ist die irdische Schwester der Religion. Wenn wir ein Herz haben, sie zu vernehmen, dann werden wir erhoben und beseligt.
Die Moral der Ethik
Sollte der „Deutsche Ethikrat“ nicht eher ein „Ethischer Rat“ sein?
Nach der Online-Tagung des deutschen Ethikrates mit dem Titel »Selbstvermessen: Ethik und Ästhetik veränderter Körperlichkeit.«1⇣Im Internet sollten die Beiträge zu finden sein. gab es für jene, die die Veranstaltung verfolgten, zum Abschluss noch einen Fragebogen, dessen letzte Frage lautete, welcher Themen sich der Ethikrat noch annehmen sollte. Ob diese Ansicht hier noch ihren Adressaten erreicht hat, ist fraglich. Ein technisches Problem ließ nicht zweifelsfrei erkennen, ob das Statement übermittelt wurde. Ein guter Grund, es hier, etwas erweitert, nochmals kundzutun.
Im Zuge der aktuellen Pandemie hat der Autor dieser Ansicht den deutschen Ethikrat überhaupt erstmal als gesellschaftliches Moment wahrgenommen, allerdings jedoch in einer Weise, die ihm das Wort und die Bedeutung „Kirche“ abzuringen hat. Die Äußerungen „der Politischen“ dabei im Ohr, die ihre Entscheidungen mit den Empfehlungen jenes Ethikrates absicherten. Daran ist zunächst gar nichts auszusetzen, Expertisen von fachkundiger Seite einzuholen. Doch werden diese dann in einer Weise gebraucht, aus der schon die Verantwortungslast erkennbar wird, sollte sich die Entscheidung als falsch erweisen, dann ist freilich Obacht angesagt. Die Wissenschaft – und zwar als solche, undifferenziert nach Fächern – wird auch mehr und mehr die Rolle einer obersten Kompetenz und damit dann auch Verantwortung zugeschustert, könnte man meinen2⇣Im Angesicht des derzeitigen Verhaltens der Politik (Inzidenz über 300: die Wissenschaft redet sich den Mund fusselig und die Politik re(a)giert … Weiterlesen…. Die Frage ist nur, ob das so gut ist. Und freilich sei hier angemerkt: Zu diesem Spiel gehören mindestens zwei. Und ein Ethikrat, der sich der Verlockung ausgesetzt sieht, Macht zu zeitigen, Einfluss auszuüben, übernimmt dann wohl auch gern Verantwortung. Und nein: der Autor hält Philosoph_innen und/oder Ethiker_innen nicht für die besseren König_innen. Platon hin oder her.
So gelangt der Verfasser hier zu der Ansicht, der Rat sollte sich in Selbstbegrenzung üben und nicht als Ratgeber in Erscheinung treten („Vermessenheit!“), sondern als Institution, mit der sich beraten werden kann, als Kompetenzzentrum in Fragen der Moral in vielfacher Hinsicht, nicht als Excellenzcluster in der Technisierung („Vermessung“) des Ethischen. Ja, freilich, auch ein Ethikrat steht im Thema der Tagung und sucht sich selbst zu optimieren. Doch der Eindruck kann geweckt werden, dass diese Optimierung den Charakter der Verbesserung einer Maschine hat, nicht die einer adäquateren Stimmigkeit mit einem Weltganzen. Und ja, der Gedanke sieht das Wort Ethik in einem Sinn mit Mathematik. Das Postfix „-ik“ als Markierung interpretiert, dass das Fach sich durch irgendeine technische Methode charakterisiert3⇣Hier so also die des Rechnens.. Nicht ganz astrein, doch für das Anliegen hier bedenkenswert. Und ein Rat in dem Sinne, wie er sich hier zeigen möchte, gibt keine Ratschläge, auch wenn sie Empfehlungen genannt werden4⇣Das soll die Aufgabe von Kommissionen sein..
Ein Rat, wie er hier sich als Ideal zeigen möchte, sollte einen Rahmen schaffen, in der für jemanden, der_die Verantwortung zu tragen bereit ist, ein Feld, ein Raum, eine Sphäre geschaffen wird, zu seiner_ihrer Entscheidung, die er_sie zu vertreten gewillt ist, zu kommen — und zwar nun eben, deshalb das Umfeld eines Rates, nicht nur auf der eigenen Sicht in die Welt und ihr Geschehen fundiert. Ein Ethikrat, der sich bei seinen Empfehlungen dann auf Wissenschaft beruft, macht letztlich auch nichts anderes als die Kulturtechnik des „Der/Die/Das hat gesagt, dass…, und der/die/das muss es wissen!“ anzuwenden. Ein so agierender Rat macht sich zum politischen Agenten, d. h., er verfolgt einen Zweck — dabei hätte er nur Mittel zu sein. Schicksal eines Rates.
So sollte sich der „Deutsche Ethikrat“ zu einem „Ethischen Rat“ wandeln und verstärkt dazu beitragen, dass Politiker_innen wie jene, die die Entscheidungen der Politiker_innen betreffen (das „-ik“ sei hier beachtet!), zu mehr Eigenverantwortung motiviert werden, statt nun eben in einem Ethikrat ein Instrument zur Verantwortungsverwässerung und –verschiebung zu sehen und weidlich zu nutzen. Der daselbst sich dann die Wissenschaft als Ratgeberin sucht. Wissenschaft allerdings, die mehr und mehr unter einem Mantra des Quantitativen, des Messbaren, des Resultates, steht. Wissenschaft, die wie Technik anmutet.
Wird ein Rat nämlich in solcher Weise missbraucht, also als vorauseilende Entschuldigung für den Fall einer Fehlentscheidung, kann es allzu leicht passieren, dass Verantwortung auf dem Spieltisch hin- und hergeschoben wird — bis irgendwann bei jenen, die Orientierung suchen, angefangen wird, nach den „starken Kräften“ Ausschau zu halten. Einstellungen, wie sie im sehr rechten politischen Spektrum anzutreffen sind, die alltäglich werden, mögen da als Indiz herhalten und ein Anzeichen für einen bereits laufenden Prozess sein.
Und freilich sollte ein solcher Ethischer Rat sich im Zuge (s)einer Selbstreflexion damit befassen, wie der Mut zur Eigenverantwortung (und das meint einen wirklich liberalen, dessen Ziel nur das Soziale sein kann, und keinen neoliberalen Sinn, der eine Asozialität im Sinne einer Elitenbildung, die ohne Mob ja keine Elite sein kann, zeitigt) bereits vom Kindergarten und dann lebenslang gestärkt werden kann — ohne dieses Feld den n. A. d. A. letztlich archaischen Motiven der Kirchen, gleich ob buddhistisch, christlich, hinduistisch, islamisch,… zu überlassen. Religionsunterricht (lat. relegere/religare als grundlegender Ansatz, nicht: Glaube) ist ein guter Ansatz dafür: Nur indes, wenn es die Religiösität des Menschen anspricht, die als solche und an sich keiner Kirche bedarf. Kirchen nutzen das religiöse Bedürfnis des Menschen, seinen Hunger nach Sinn und Gewährleistung, für ihre Zwecke und Ziele. Sie sorgen nicht für die Fähigkeit zur Eigenreligiösität, sondern versuchen sich darin, diese zu eliminieren. Sinn und Weltverständnis – pathetisch: Weltgeborgenheit; nüchterner: Weltanschauung – werden zu einem Produkt, dass um den Preis einer Konfession gekauft werden kann — und nicht zu einem Gewinn, der selbst erschaffen, und nicht erwirtschaftet, ‚verdient‘, wurde. Kreatives (Er-)Gebnis einer Kunst, nicht ausgerechnetes Resultat einer Technik.
Diese selbst ausgeübte Sinnkompetenz hätte wohl den freien und deshalb sozialen, mithin: ethischen Menschen zur Folge.
⇡1 | Im Internet sollten die Beiträge zu finden sein. |
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⇡2 | Im Angesicht des derzeitigen Verhaltens der Politik (Inzidenz über 300: die Wissenschaft redet sich den Mund fusselig und die Politik re(a)giert nicht…) ist das hier indes um ein „Wenn’s g’rad’ in den Kram passt“ zu erweitern. |
⇡3 | Hier so also die des Rechnens. |
⇡4 | Das soll die Aufgabe von Kommissionen sein. |
Denkzettel 145
Wer „romantisch“ sagt, denkt oder fühlt, könnte damit „kirchlich“ meinen: geregeltes Empfinden, wie in der Kirche (als Ort, Ereignis wie auch als Organisation).
Wahrheit & Wirklichkeit
Über Kultur & Natur, Verstand & Vernunft, Erkenntnis & Einsicht. Über den Menschen. Als Tier.
Inwieweit kann über das Leben philosophiert werden im Sinne: eine ‚Wahrheit‘, (objektive) ‚Erkenntnisse‘, ‚Wissen‘ zu (er)finden?
Inwieweit findet sich die Philosophie des Lebens darin: es einfach zu leben, das je eigene Leben, wie es sich für ein Individuum ergibt, ergeben mag, ergeben will?
Darin, das je eigene Leben für sich zu bejahen, in aller Konsequenz — und über so gewonnene ‚Ansichten‘, (subjektive) ‚Einsichten‘, ‚Weisheit‘ sich, durchaus sich selbst und gegenseitig kritisch hinterfragend, auszutauschen, den eigenen Horizont so also erweiternd.
Inwieweit wäre eine Philosophie des Lebens also weniger erkenntnistheoretisch zu fundieren und ist mehr in der verstetigten Übung einer Einsichtspraxis zu begründen? Inwieweit soll sie also nicht ‚Wissen‘ der ‚Wahrheit‘ zum Ziel haben („Macht“), sondern ‚Mut‘ zur ‚Wirklichkeit‘ („Vermögen“) vermitteln?
Inwiefern wäre ein Austausch von, also Handel mit, Einsichten einem Angreifen und Verteidigen, einem Krieg der Erkenntnisse, vorzuziehen?
Ist denn ein Kampf um die Wahrheit wirklich so erstrebenswert? Sollte nicht das Augenmerk auf das Verhältnis zur Wirklichkeit gerichtet sein — auch und gerade in der Philosophie? Führt sich denn ein Leben gut, lässt es sich gut führen, wenn es sich allein auf Erkenntnisse des Verstandes stützt?
Ist Wahrheit denn nicht: ein Konstrukt unserer Wirklichkeit, unserer Verwirklichung als Menschen? Tiere kennen keine Wahrheit, nur Wirklichkeit. Was nutzt uns Menschen denn diese Wahrheit, eigentlich?
Vielleicht dient sie letztlich nur dazu, uns nicht gegenseitig zu vernichten. Und doch kann sie auch gedacht werden als Antreiber genau dieser Selbstvernichtung. Die Kriege auf dem Gebiet der zur Religion überhöhten Weltanschauungen singen da ja ein lautes Lied. Ein Klagelied, wohl.
Der Verstand, der die Wahrheit sucht, gar: braucht, mag ein hilfreicher Geselle sein. Doch wenn wir einen Gesellen zum König küren, gibt es da nicht ein Qualitätsproblem? Versagt denn da nicht unsere Vernunft? Geht das nicht an der Wirklichkeit vorbei?
Die Wahrheit ist ein Konstrukt unseres Geistes. Um zu leben, brauchen wir keine Wahrheit. Sie ist eine Architektin unserer Kultur, kein Arzt unserer Natur. Wir werden auch immer Tiere bleiben. Tiere die Hunger haben und Durst. Tiere, die sich vermehren wollen. Tiere, die ihr Revier verteidigen. Tiere, die kämpfen. Tiere, die überleben wollen. Dieses Tier geht nicht weg, es ist immer da. Unsere Kultur ist ein natürlicher Überbau. Und von dem aus haben wir das Tier im Menschen festzustellen, zu konstatieren. Kein Weg führt daran vorbei. Diese Sicht ist vernünftig, auch wenn der Verstand sich gegen diese Wahrheit wehrt. So Manche wollen das nicht wahrhaben, das Tier im Menschen fürchtend.
Ob dieses Tier ein Wolf oder ein Lamm ist, ein Wal oder Haifisch, ein Orka oder Walhai, das liegt in der Macht des Menschen. Und kein Mensch ist seinem Tier ausgeliefert, prinzipiell. Wir sind die Dompteure unseres Tiers in uns. Da sind die Krieger: gezüchtete Haifische. Da sind die Kämpfer: gezüchtete Gnus. Und da sind eben die friedlichen und unfriedlichen: gezüchtete Tiere. Abgerichtet.
Wer es nicht schafft, seinen „Willen zur Macht“ für sich selbst zu nutzen, wird ein Sklavenleben führen müssen. Ja? Nein! Sie kann genauso ein Herrenleben führen. Doch die Macht über die Macht, die hat nicht, wer sich nicht darauf versteht, seinen „Willen zur Macht“ für sich nutzbar zu machen. Er wie sie werden ein Herdentier sein. Auch Leithammel und ‑löwinnen sind: Herdentiere. Mag eine Herde auch als Rudel daherkommen.
Der vernünftige Mensch sucht doch die Freiheit, die Wahl. Die Verantwortung damit, auch. Das ist die Wirklichkeit des Menschen, in eben dieser Freiheit zu stehen. Was heißt: zu suchen braucht er sie nicht, er hat sie schon. Nur sie auch zu leben, das traut er sich noch nicht. In 10000 Jahren wird die Welt anders aussehen.
Er misstraut seiner Natur. Sieht sie als Dunkles, Bedrohliches, Unbeherrschbares. Schafft Wahrheiten, um das Dunkel zu beherrschen. Und ist von seinem eigenen Licht geblendet. Sieht nicht, versteht nicht, dass er nur sich selbst beleuchtet — doch erklärt so die ganze Welt.
Das Monster des Menschen steckt doch in seiner Kulturfähigkeit, die Kultur ist das Monster, das er fürchten sollte. Seiner Natur nach ist der Mensch vernünftig — und seine Natur hat sich bisher immer durchgesetzt. Noch ist die Menschheit nicht durch eine Apokalypse von der Bildfläche des Universums verschwunden. Doch Hochkulturen verschwinden irgendwann, da reicht ein vernünftiger Blick in die Geschichte völlig aus.
Und diese Kulturfähigkeit — gehört zu seiner Natur. Sie ist das Tier, das es zu bändigen gilt. Die Vernunft, die Natur des Menschen, ist Herr über den Verstand, die Kultur des Menschen. Der Verstand ist ein Knecht, kein Herr. Und im Grunde ist der Mensch: Chaotisch. Vernünftig. Doch das schmeckt seinem Verstand nicht, der das Chaos fürchtet. Weil es ihn desorientiert, wenn er keine Regel entdecken kann, nichts vorhersagen kann. Der Mensch fürchtet sich, wenn er nicht wissen kann, was ihn erwartet. Zumindest verunsichert es ihn, weshalb ihm der Verstand mit auf den Weg gegeben wurde. Oder, darwinistischer formuliert: Sich evolutiert hat. Damit er sich nicht so fürchtet.
Der Verstand des Menschen (zer)stört das Klima, der Verstand des Menschen begründet einen Genozid, der Verstand des Menschen lässt ihn Kriege führen — alles im Namen der Wahrheit.
Die Kunst ist kein Produkt der Kultur des Menschen, seines Verstandes — es ist ein Gewächs seiner Natur, des Tieres in ihm, seiner Vernunft. Es ist die Kunst, die den Menschen aus den Miseren, die er mit seiner Kultur selbst geschaffen hat, rettet.
»Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf« meinte Hobbes. Nietzsche könnte, vielleicht, sagen: Der Mensch ist dem Menschen (s)eine Kultur.
Philosophie sollte Kunst sein, nicht Wissenschaft. Vernunft, nicht Verstand. Natur, nicht Kultur. Der Mensch ist ein natürlich philosophisches Wesen und nur kultürlich ein wissenschaftliches.
Bis hierhin alles schön schwarz-weiß, dem Verstande leicht verdaulich. Lassen wir nun Vernunft walten, begeben wir uns also jenseits von wahr oder falsch, Disjunktion und Konjunktion. Betreten wir das Reich der Vernunft. Den Verstand, das Drängen nach Erkenntnis, nach Wahrheit, wahr sein, hinter uns lassend, die Einsicht vor uns. Wenden wir uns dem Chaos zu. Sehen wir nach vorne.
Der vernünftige Mensch ist ganz Natur. Kernig, erdverbunden, unaufgeregt. Bescheiden. Hätte der Mensch keine Kultur, dieser Planet wäre der friedlichste Ort mit der besten Luft und den günstigsten Habitatbedingungen für den Menschen, die sich nur denken lassen. Ein: Paradies.
Wenn da nicht die Mühen der Jagd wären. Und der beengte Raum. Und die Neugier, die Gier überhaupt. Und dann dieser Winter. Und der Sommer erst, je nach Gegend. Nein, dieses Habitat erscheint dem Verstand, dem Bequemlichkeit suchenden Hirn, des Energiesparens wegen, gar nicht so gemütlich. Das Habitat will kultiviert sein, wohnlich hat es zu sein!
Da ist’s dann auch schon wieder vorbei mit der Vernunft, der gierige Schlund der Kultur öffnet sich und verleibt sich das Habitat ein. Die Vernunft für sich allein scheint also nicht besonders stark zu sein.
Um nun also als Menschen uns selbst das Wasser nicht abzugraben vor lauter Kulturdrang und Naturverachtung, bleibt wohl doch nur die Flucht nach vorne: sich jenseits von gut & böse, wahr und falsch, Chaos und Kosmos, Vernunft und Verstand zu begeben. Ein Land, das wir uns gar nicht vorstellen können. Und das es vielleicht – deshalb? – nicht gibt.
Und doch gibt es einen Ort jenseits von: Das Zwischen. Das Zwischen von Natur und Kultur. Das Zwischen von Vernunft und Verstand. Da, wo der Mensch noch Mensch sein darf: Natur mit Kultur, Kultur mit Natur. Vernunft mit Verstand, Verstand mit Vernunft. Chaos mit Kosmos, Kosmos mit Chaos. Ein unmöglicher Ort, eine Utopie, weil in sich widersprüchlich? Nein! Diese Erkenntnis der Widersprüchlichkeit ist ein Widerspruch des Verstandes, wie der vernünftige Mensch sofort einsehen kann. In diesem „mit“ liegt der Schlüssel zur Glückseligkeit. Es vermittelt die Gegensätze vernünftig, die der Verstand geschaffen hat.
Chaos hat auch die Bedeutung jener Dunstschicht zwischen Himmel und Meer. Ursprung der beiden, so zumindest dachten sich das wohl manche in der Antike in Griechenland. Und so können wir auch den Menschen in eben diesem Chaos, in dieser Unbestimmtheit, Unbestimmbarkeit, in dieser Grenze, die nur als Übergang, als Angrenzung und nicht Abgrenzung in den Blick kommt, verorten. So angesehen, kann der Mensch als Schöpfer von oben und unten, von Himmel und Meer, von Apoll und Dionysos, aufgefasst werden — sich selbst jedoch nicht erreichend, im Chaos verschwindend. Ein solches Ansehen des Menschen durch den Menschen selbst kann nun – vielleicht – eben als ein Akt des vernünftigen Verstandes, der verständigen Vernunft interpretiert werden. Es ist Einsicht wie Erkenntnis: erkennende Einsicht, einsichtige Erkenntnis.
Der Mensch: Ein Zwischen. Ein Inter-esse, ein „da, zwischen“, „in Mitten“ sein.
Und die Moral von der Geschicht’ …
Nietzsches »Jenseits von Gut und Böse«, nur anders.
Das „Jenseits von“ dieser Betrachtung ist das Jenseits von Mythos und Logos und will nun überhaupt keine Theologie als Grammatik verstehen (Wittgenstein/Luther) oder andere Tricks einsetzen, um über etwas zu reden, wovon notwendigerweise nur geschwiegen werden kann. Dies Jenseits ist gefasst in Sprachlosigkeit, über die gesprochen werden soll, auch wenn sie eben nicht direkt ausgesprochen werden kann. Denn in dieser Sprachlosigkeit verschwindet der Mensch ja nicht. Er bleibt ja da — nun eben als Natur‑, nicht als Kulturwesen. Seine Lebenswelt mag da seine Grenze finden, seine natürliche Weltlich- und Wirklichkeit nicht.
Und was ist er nun als solches Naturwesen? Eine „blonde Bestie“ wie ihn Nietzsche terminierte? Oder doch letztlich ein Geistwesen, wie es Esoteriker/innen wohl andenken? Oder ein geistliches, vergeistigtes Wesen, wie sie in Kirchen durchaus anzutreffen sind?
‚Geist‘ sei hier als zur Natur des Menschen gehörend und ihn zur Kultur befähigend gedacht. Doch dieser ‚Geist‘ scheint weder Gott noch Wille, noch sonstiger jenseitiger, ‚höherer‘, übersinnlicher Art und Weise zu sein; noch scheint er rational begreifbar, noch vernünftig erfassbar zu sein. Er ist einfach ‚da‘. Es ist wirklich: „da sein“ (Heidegger). Er ist Teil unserer Natur, entsteht in unserem Körper, der dann eben als ‚beseelt‘ erscheint, unserer Selbstwahrnehmung wie der Wahrnehmung anderer nach. Und so manche glauben daran, dies käme eben von einem wie auch immer gearteten ‚Oben‘. Doch wir können den ‚Geist‘ nicht fassen – wie das Geister ja so an sich haben sollen –, weder begrifflich noch empfindend und er wird wohl auch nicht direkt vermessbar sein. An der Kultur bemerken wir ihn, da manifestiert er sich, wird ‚sichtbar‘, doch eben nur als Epiphänomen, nicht als Phänomen an sich. Der ‚Geist‘ an sich ist für uns nicht erreichbar (Kant). Vielleicht, weil er eben stets ‚im Begriff ist zu sein‘ und so kein positives Sein hat, also: immateriell bleibt. Negativ.
Und ich bleibe dabei: dieser ‚Geist‘ hat keinen Willen; ist reines Medium, purer Vermittler. Vermittelt zwischen biologischem Körper und natürlicher Welt, i.F. „Naturwelt“, zwischen Denken und Handeln, Vorstellen und Wille (Schopenhauer). Und (v)erschafft als ‚Zwischen‘ Lebenswelt.
Und manche, weil sie Nicht-wissen-können nicht ertragen können, geben diesem ‚Geist‘ eine Gestalt: Gott. Natur. Kultur. Und einen Willen, ein Gesetz, ein letztendliches Ziel bekommt diese Gestalt gleich mit. Und all dies sind jedoch eben nur ‚Henkel‘ (Figal), mit denen sich unser Rechnen der Welt habhaft macht. Stellen wir dieses Rechnen ein, beschränken uns völlig auf das Denken, also das Vernehmen dessen, was ist, verschwindet die Lebenswelt zur Gänze. Da(s) ist die Natur des Menschen: Reg- und tatenlos, also willenlos, absichtslos, sitzt er da, ‚im Begriff zu sein‘, also: im Werden. Wenn er nichts tut, wird er so sterben. Das ist, wie Nietzsches „Wille zur Macht“ ‚gelesen‘ werden kann — also Sinn ‚zwischen den Zeilen‘ herausgepickt wie einst die Beeren im Weinberg: der Mensch muss etwas tun, um zu überleben. Er kann dieses Tun unterlassen, doch dann stirbt er. Der Mensch muss etwas tun, machen, mächtig, tätig sein, um zu überleben. Von allein geht da gar nichts. Anders eben als beim Tier, welches über einen solchen bremsenden, will meinen: werdenden ‚Geist‘, nicht verfügt. Für sich immer schon ist, und ohne selbigen eben weitaus unangestrengter überleben und sich fortpflanzen kann. Man könnte fast meinen, der Mensch hat sich als Tier, welches er einmal war, als völlig ungeeignet erwiesen. Bis ‚Geist‘ in ihm entstand. Ohne jenen wären wir verschwunden wie die Dinosaurier.
Ist der Mensch also nur ein Mängelwesen (Gehlen), so betrachtet? Eher nicht, sondern vielmehr im Gegenteil: Er ist mit ‚Geist‘ überfüllt. Dieser ‚Geist‘, Ausbremser des Lebens, weil er den Menschen im ‚im Begriff sein‘ festhält. So gesehen hält der ‚Geist‘ den Menschen fest: ein festgestelltes, angenageltes Tier.
Und es ist eben der Wille, für uns vernehmbar als Wollen, der den Menschen aus der Untätigkeit holt und ihn Kleider machen lässt, Fleisch jagen und kochen lässt, Hütten bauen lässt, etc. pp., ihn der Feststellung enthebt. Der Wille, z. B. als Hunger vernommen, und das Wollen, welches ihn die nächste Pommes-Bude ansteuern lässt. Genauer: mittels dessen er diese ansteuert, Wahl ist Wahl, da beißt die Maus keinen Faden ab. Der Wille, metaphorisch, vielleicht buddhistisch, gesprochen: der Durst, ist es, der den Menschen aus seinem ‚im Begriff sein‘ herausholt, ihn in Bewegung setzt, aus seiner Untätigkeit, Unmächtigkeit, zu dem ihn dieser vermaledeite ‚Geist‘ mit seinem ‚im Begriff sein‘ verdonnert. Der Mensch muss sich gegen seinen ‚Geist‘ durchsetzen, will er überleben. Er braucht den Durst, sein ‚Geist‘ käme nie auf die Idee, etwas zu trinken. Wozu auch? Er ist ja „eh da“.
Und dieser Durst ist eben eine Angelegenheit des Körpers, nichts nicht-Körperliches, ‚Geistiges‘. Der ‚Geist‘ ist die Bremse des Motors, der Antagonist des Willens. Und ohne diese Bremse, ein „geistloser Mensch“ also, wäre ein Mensch, der sich selbst verzehren würde, in unersättlicher Gier. Allein der ‚Geist‘ mit seiner Manifestation des Denkens, des Vernünftig seins, des Gewahr werden könnens was ist, hält ihn davon ab, die Erde, sein Habitat, bis zum letzten Tropfen auszutrinken, auszubeuten — zu zerstören.
Moment! Da stimmt doch was nicht! Mensch macht doch genau das! Zumindest ist er, Klimawandel nur als ein Beispiel, auf dem besten Wege das Tier in ihm mehr und mehr zu entfesseln, zu befreien, zu entfalten – das Tier, es ist noch nicht festgestellt, der Hund noch nicht an der Leine. Er entgeistet sich, sein Wille bricht sich in ungezügeltem Wollen Bahn. Die Vernunft versagt, das gierige Tier bricht hervor, wie ein Leitwolf stürzt es sich auf sein Lamm um es zu vertilgen, vom Hunger – Neugeborene haben Hunger, der gestillt sein will, nicht Durst, der zu löschen wäre – getrieben.
Eine Manifestation dieses Wollens ist der Verstand. Immer ausgeklügeltere Techniken verschafft sich der Mensch mit ihm, um die Erde, ach was: das Universum! sich Untertan zu machen, um Herr zu sein in der Naturwelt — wenn seine Lebenswelt schon auf’s Sprachliche begrenzt ist. Und da wird dann eben nicht mehr nach irgendwelcher Moral gefragt, sondern allein der Nutzen ist der Maßstab. Da steht er dann, im Jenseits von Gut und Böse. Meint er. Tatsächlich: Mittendrin.
Will Mensch zu seiner Natur finden, kann er mehr ‚Geist‘ wagen. Nicht in Form dogmatischer Kirchen oder entfesselter Kunst noch sonstiger konstruierter Ethiken und Ästhetiken, die ja letztlich auch nur Techniken sind. Nein, in diesem stillen, ohne Absicht seiendem Dasitzen, Dasein, ‚im Begriff sein‘, diesem … moralisch sein, indem er sich so außerhalb der Ethik von Gut und Böse hinstellt, sich außerhalb des Widerspruchs begibt, da(s) ist seine natürliche Korrektur — es braucht keinen Gott mehr, der kann tot sein. Der entfesselte Verstand hingegen gehört nicht zu seiner Natur, er ist ein kulturelles Gut. Die Evolution hat einen vernünftigen Menschen hervorgebracht — doch er missversteht sich als verständiges Wesen. Und da er sich mittels des Verstandes mit den Regeln der Rationalität, des Nutzens, des Rationellen immer wieder auf’s Neue vor sich selbst rechtfertigen kann, wird sein „Wille zur Macht“ schließlich das Universum besiegen. Und die Logik gibt ihm Recht. Und reicht die nicht, ist’s die Grammatik, die ihn dazu befähigt. Passt auch das nicht, wird’s eben eine Theologie oder das reine Glauben. Gottgegeben, zu Recht verfertigt.
Ob zu seinem Wohl, bleibt freilich dahingestellt. Denn es ist leicht sich vorzustellen, wohin dieser Siegeswille – der aus nichts anderem geboren wird als aus der puren Furcht vor dem nichttätigen, unmächtigen Dasein, weil dies für ihn den Tod bedeutete – radikal zu Ende gedacht, führen wird: Zur Selbstbeherrschung. Doch diese ist dann eben eine Selbstvernichtung.
„So ist die Natur des Menschen, er ist sich selbst ein Wolf, Homo homini lupus!“ (Hobbes).
Nein. So ist seine Kultur. Das verwirklichte Märchen vom bösen Wolf und den sieben Geißelein. Oder jenes vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Nur den Jäger (w/d/m), der den Menschen aus dem Bauch seines Wolfseins befreit, den gibt es nicht. Das müsste ja ein ‚Übermensch‘ sein, von ‚Oben‘ kommen. Und so wird dieses realisierte Märchen dann kein gutes Ende finden. Im Gegensatz zu dem, welches er erfunden hat. Ironie des Schicksals.
Außer (je)der Mensch entdeckt in sich den Jäger. Seinen ‚Geist‘.
Denkzettel 69
(Verschwörungstheorien u.ä.)
Für die, die (an) Märchen glauben, gibt es keine Märchen; nur wahre Erzählungen: Berichte.
(Die wahre Erzählung ist die, der man Glaube(n) schenken mag.)
Denkzettel 49
Religion heißt (oder: will meinen): das nicht wissen Können. Oder: Das nicht-Wissen können.
Philosophie heißt (oder: will meinen oder gar, womöglich, wissen): das nicht wissen Können üben.
Eben ein/e Freund/in der Weisheit zu sein und nicht ihr/e Herr/in.
Oder sich einfach nur an ihr zu erfreuen. (An der Weisheit, freilich.)