Die Moral der Ethik

Sollte der „Deutsche Ethikrat“ nicht eher ein „Ethischer Rat“ sein?

Nach der On­line-Ta­gung des deut­schen Ethik­ra­tes mit dem Ti­tel »Selbst­ver­mes­sen: Ethik und Äs­the­tik ver­än­der­ter Kör­per­lich­keit.«1⇣Im In­ter­net soll­ten die Bei­trä­ge zu fin­den sein. gab es für je­ne, die die Ver­an­stal­tung ver­folg­ten, zum Ab­schluss noch ei­nen Fra­ge­bo­gen, des­sen letz­te Fra­ge lau­te­te, wel­cher The­men sich der Ethik­rat noch an­neh­men soll­te. Ob die­se An­sicht hier noch ih­ren Adres­sa­ten er­reicht hat, ist frag­lich. Ein tech­ni­sches Pro­blem ließ nicht zwei­fels­frei er­ken­nen, ob das State­ment über­mit­telt wur­de. Ein gu­ter Grund, es hier, et­was er­wei­tert, noch­mals kund­zu­tun.

Im Zu­ge der ak­tu­el­len Pan­de­mie hat der Au­tor die­ser An­sicht den deut­schen Ethik­rat über­haupt erst­mal als ge­sell­schaft­li­ches Mo­ment wahr­ge­nom­men, al­ler­dings je­doch in ei­ner Wei­se, die ihm das Wort und die Be­deu­tung „Kir­che“ ab­zu­rin­gen hat. Die Äu­ße­run­gen „der Po­li­ti­schen“ da­bei im Ohr, die ih­re Ent­schei­dun­gen mit den Emp­feh­lun­gen je­nes Ethik­ra­tes ab­si­cher­ten. Dar­an ist zu­nächst gar nichts aus­zu­set­zen, Ex­per­ti­sen von fach­kun­di­ger Sei­te ein­zu­ho­len. Doch wer­den die­se dann in ei­ner Wei­se ge­braucht, aus der schon die Ver­ant­wor­tungs­last er­kenn­bar wird, soll­te sich die Ent­schei­dung als falsch er­wei­sen, dann ist frei­lich Ob­acht an­ge­sagt. Die Wis­sen­schaft – und zwar als sol­che, un­dif­fe­ren­ziert nach Fä­chern – wird auch mehr und mehr die Rol­le ei­ner obers­ten Kom­pe­tenz und da­mit dann auch Ver­ant­wor­tung zu­ge­schus­tert, könn­te man mei­nen2⇣Im An­ge­sicht des der­zei­ti­gen Ver­hal­tens der Po­li­tik (In­zi­denz über 300: die Wis­sen­schaft re­det sich den Mund fus­se­lig und die Po­li­tik re(a)giert … Wei­ter­le­sen…. Die Fra­ge ist nur, ob das so gut ist. Und frei­lich sei hier an­ge­merkt: Zu die­sem Spiel ge­hö­ren min­des­tens zwei. Und ein Ethik­rat, der sich der Ver­lo­ckung aus­ge­setzt sieht, Macht zu zei­ti­gen, Ein­fluss aus­zu­üben, über­nimmt dann wohl auch gern Ver­ant­wor­tung. Und nein: der Au­tor hält Philosoph_innen und/oder Ethiker_innen nicht für die bes­se­ren König_innen. Pla­ton hin oder her.

So ge­langt der Ver­fas­ser hier zu der An­sicht, der Rat soll­te sich in Selbst­be­gren­zung üben und nicht als Rat­ge­ber in Er­schei­nung tre­ten („Ver­mes­sen­heit!“), son­dern als In­sti­tu­ti­on, mit der sich be­ra­ten wer­den kann, als Kom­pe­tenz­zen­trum in Fra­gen der Mo­ral in viel­fa­cher Hin­sicht, nicht als Ex­cel­lenz­clus­ter in der Tech­ni­sie­rung („Ver­mes­sung“) des Ethi­schen. Ja, frei­lich, auch ein Ethik­rat steht im The­ma der Ta­gung und sucht sich selbst zu op­ti­mie­ren. Doch der Ein­druck kann ge­weckt wer­den, dass die­se Op­ti­mie­rung den Cha­rak­ter der Ver­bes­se­rung ei­ner Ma­schi­ne hat, nicht die ei­ner ad­äqua­te­ren Stim­mig­keit mit ei­nem Welt­gan­zen. Und ja, der Ge­dan­ke sieht das Wort Ethik in ei­nem Sinn mit Ma­the­ma­tik. Das Post­fix „-ik“ als Mar­kie­rung in­ter­pre­tiert, dass das Fach sich durch ir­gend­ei­ne tech­ni­sche Me­tho­de cha­rak­te­ri­siert3⇣Hier so al­so die des Rech­nens.. Nicht ganz ast­rein, doch für das An­lie­gen hier be­den­kens­wert. Und ein Rat in dem Sin­ne, wie er sich hier zei­gen möch­te, gibt kei­ne Rat­schlä­ge, auch wenn sie Emp­feh­lun­gen ge­nannt wer­den4⇣Das soll die Auf­ga­be von Kom­mis­sio­nen sein..

Ein Rat, wie er hier sich als Ide­al zei­gen möch­te, soll­te ei­nen Rah­men schaf­fen, in der für je­man­den, der_die Ver­ant­wor­tung zu tra­gen be­reit ist, ein Feld, ein Raum, ei­ne Sphä­re ge­schaf­fen wird, zu seiner_ihrer Ent­schei­dung, die er_sie zu ver­tre­ten ge­willt ist, zu kom­men — und zwar nun eben, des­halb das Um­feld ei­nes Ra­tes, nicht nur auf der ei­ge­nen Sicht in die Welt und ihr Ge­sche­hen fun­diert. Ein Ethik­rat, der sich bei sei­nen Emp­feh­lun­gen dann auf Wis­sen­schaft be­ruft, macht letzt­lich auch nichts an­de­res als die Kul­tur­tech­nik des „Der/Die/Das hat ge­sagt, dass…, und der/die/das muss es wis­sen!“ an­zu­wen­den. Ein so agie­ren­der Rat macht sich zum po­li­ti­schen Agen­ten, d. h., er ver­folgt ei­nen Zweck — da­bei hät­te er nur Mit­tel zu sein. Schick­sal ei­nes Ra­tes.

So soll­te sich der „Deut­sche Ethik­rat“ zu ei­nem „Ethi­schen Rat“ wan­deln und ver­stärkt da­zu bei­tra­gen, dass Politiker_innen wie je­ne, die die Ent­schei­dun­gen der Politiker_innen be­tref­fen (das „-ik“ sei hier be­ach­tet!), zu mehr Ei­gen­ver­ant­wor­tung mo­ti­viert wer­den, statt nun eben in ei­nem Ethik­rat ein In­stru­ment zur Ver­ant­wor­tungs­ver­wäs­se­rung und –ver­schie­bung zu se­hen und weid­lich zu nut­zen. Der da­selbst sich dann die Wis­sen­schaft als Rat­ge­be­rin sucht. Wis­sen­schaft al­ler­dings, die mehr und mehr un­ter ei­nem Man­tra des Quan­ti­ta­ti­ven, des Mess­ba­ren, des Re­sul­ta­tes, steht. Wis­sen­schaft, die wie Tech­nik an­mu­tet.

Wird ein Rat näm­lich in sol­cher Wei­se miss­braucht, al­so als vor­aus­ei­len­de Ent­schul­di­gung für den Fall ei­ner Fehl­ent­schei­dung, kann es all­zu leicht pas­sie­ren, dass Ver­ant­wor­tung auf dem Spiel­tisch hin- und her­ge­scho­ben wird — bis ir­gend­wann bei je­nen, die Ori­en­tie­rung su­chen, an­ge­fan­gen wird, nach den „star­ken Kräf­ten“ Aus­schau zu hal­ten. Ein­stel­lun­gen, wie sie im sehr rech­ten po­li­ti­schen Spek­trum an­zu­tref­fen sind, die all­täg­lich wer­den, mö­gen da als In­diz her­hal­ten und ein An­zei­chen für ei­nen be­reits lau­fen­den Pro­zess sein.

Und frei­lich soll­te ein sol­cher Ethi­scher Rat sich im Zu­ge (s)einer Selbst­re­fle­xi­on da­mit be­fas­sen, wie der Mut zur Ei­gen­ver­ant­wor­tung (und das meint ei­nen wirk­lich li­be­ra­len, des­sen Ziel nur das So­zia­le sein kann, und kei­nen neo­li­be­ra­len Sinn, der ei­ne Aso­zia­li­tät im Sin­ne ei­ner Eli­ten­bil­dung, die oh­ne Mob ja kei­ne Eli­te sein kann, zei­tigt) be­reits vom Kin­der­gar­ten und dann le­bens­lang ge­stärkt wer­den kann — oh­ne die­ses Feld den n. A. d. A. letzt­lich ar­chai­schen Mo­ti­ven der Kir­chen, gleich ob bud­dhis­tisch, christ­lich, hin­du­is­tisch, is­la­misch,… zu über­las­sen. Re­li­gi­ons­un­ter­richt (lat. relegere/religare als grund­le­gen­der An­satz, nicht: Glau­be) ist ein gu­ter An­satz da­für: Nur in­des, wenn es die Re­li­giö­si­tät des Men­schen an­spricht, die als sol­che und an sich kei­ner Kir­che be­darf. Kir­chen nut­zen das re­li­giö­se Be­dürf­nis des Men­schen, sei­nen Hun­ger nach Sinn und Ge­währ­leis­tung, für ih­re Zwe­cke und Zie­le. Sie sor­gen nicht für die Fä­hig­keit zur Ei­gen­re­li­giö­si­tät, son­dern ver­su­chen sich dar­in, die­se zu eli­mi­nie­ren. Sinn und Welt­ver­ständ­nis – pa­the­tisch: Welt­ge­bor­gen­heit; nüch­ter­ner: Welt­an­schau­ung – wer­den zu ei­nem Pro­dukt, dass um den Preis ei­ner Kon­fes­si­on ge­kauft wer­den kann — und nicht zu ei­nem Ge­winn, der selbst er­schaf­fen, und nicht er­wirt­schaf­tet, ‚ver­dient‘, wur­de. Krea­ti­ves (Er-)Gebnis ei­ner Kunst, nicht aus­ge­rech­ne­tes Re­sul­tat ei­ner Tech­nik.

Die­se selbst aus­ge­üb­te Sinn­kom­pe­tenz hät­te wohl den frei­en und des­halb so­zia­len, mit­hin: ethi­schen Men­schen zur Fol­ge.

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Re­fe­ren­ces
1 Im In­ter­net soll­ten die Bei­trä­ge zu fin­den sein.
2 Im An­ge­sicht des der­zei­ti­gen Ver­hal­tens der Po­li­tik (In­zi­denz über 300: die Wis­sen­schaft re­det sich den Mund fus­se­lig und die Po­li­tik re(a)giert nicht…) ist das hier in­des um ein „Wenn’s g’rad’ in den Kram passt“ zu er­wei­tern.
3 Hier so al­so die des Rech­nens.
4 Das soll die Auf­ga­be von Kom­mis­sio­nen sein.

Wahrheit & Wirklichkeit

Über Kultur & Natur, Verstand & Vernunft, Erkenntnis & Einsicht. Über den Menschen. Als Tier.

Inwie­weit kann über das Le­ben phi­lo­so­phiert wer­den im Sin­ne: ei­ne ‚Wahr­heit‘, (ob­jek­ti­ve) ‚Er­kennt­nis­se‘, ‚Wis­sen‘ zu (er)finden?

In­wie­weit fin­det sich die Philosophie des Le­bens dar­in: es ein­fach zu le­ben, das je ei­ge­ne Le­ben, wie es sich für ein In­di­vi­du­um er­gibt, er­ge­ben mag, er­ge­ben will?

Dar­in, das je ei­ge­ne Le­ben für sich zu be­ja­hen, in al­ler Kon­se­quenz — und über so ge­won­ne­ne ‚An­sich­ten‘, (sub­jek­ti­ve) ‚Ein­sich­ten‘, ‚Weis­heit‘ sich, durch­aus sich selbst und ge­gen­sei­tig kri­tisch hin­ter­fra­gend, aus­zu­tau­schen, den ei­ge­nen Ho­ri­zont so al­so er­wei­ternd.

In­wie­weit wä­re ei­ne Philosophie des Le­bens al­so we­ni­ger er­kennt­nis­theo­re­tisch zu fun­die­ren und ist mehr in der ver­ste­tig­ten Übung ei­ner Ein­sichts­pra­xis zu be­grün­den? In­wie­weit soll sie al­so nicht ‚Wis­sen‘ der ‚Wahr­heit‘ zum Ziel ha­ben („Macht“), son­dern ‚Mut‘ zur ‚Wirk­lich­keit‘ („Ver­mö­gen“) ver­mit­teln?

In­wie­fern wä­re ein Aus­tausch von, al­so Han­del mit, Ein­sich­ten ei­nem An­grei­fen und Ver­tei­di­gen, ei­nem Krieg der Er­kennt­nis­se, vor­zu­zie­hen?

Ist denn ein Kampf um die Wahr­heit wirk­lich so er­stre­bens­wert? Soll­te nicht das Au­gen­merk auf das Ver­hält­nis zur Wirk­lich­keit ge­rich­tet sein — auch und ge­ra­de in der Philosophie? Führt sich denn ein Le­ben gut, lässt es sich gut füh­ren, wenn es sich al­lein auf Er­kennt­nis­se des Ver­stan­des stützt?

Ist Wahr­heit denn nicht: ein Kon­strukt un­se­rer Wirk­lich­keit, un­se­rer Ver­wirk­li­chung als Men­schen? Tie­re ken­nen kei­ne Wahr­heit, nur Wirk­lich­keit. Was nutzt uns Men­schen denn die­se Wahr­heit, ei­gent­lich?

Viel­leicht dient sie letzt­lich nur da­zu, uns nicht ge­gen­sei­tig zu ver­nich­ten. Und doch kann sie auch ge­dacht wer­den als An­trei­ber ge­nau die­ser Selbst­ver­nich­tung. Die Krie­ge auf dem Ge­biet der zur Re­li­gi­on über­höh­ten Welt­an­schau­un­gen sin­gen da ja ein lau­tes Lied. Ein Kla­ge­lied, wohl.

Der Ver­stand, der die Wahr­heit sucht, gar: braucht, mag ein hilf­rei­cher Ge­sel­le sein. Doch wenn wir ei­nen Ge­sel­len zum Kö­nig kü­ren, gibt es da nicht ein Qua­li­täts­pro­blem? Ver­sagt denn da nicht un­se­re Ver­nunft? Geht das nicht an der Wirk­lich­keit vor­bei?

Die Wahr­heit ist ein Kon­strukt un­se­res Geis­tes. Um zu le­ben, brau­chen wir kei­ne Wahr­heit. Sie ist ei­ne Ar­chi­tek­tin un­se­rer Kul­tur, kein Arzt un­se­rer Na­tur. Wir wer­den auch im­mer Tie­re blei­ben. Tie­re die Hun­ger ha­ben und Durst. Tie­re, die sich ver­meh­ren wol­len. Tie­re, die ihr Re­vier ver­tei­di­gen. Tie­re, die kämp­fen. Tie­re, die über­le­ben wol­len. Die­ses Tier geht nicht weg, es ist im­mer da. Un­se­re Kul­tur ist ein na­tür­li­cher Über­bau. Und von dem aus ha­ben wir das Tier im Men­schen fest­zu­stel­len, zu kon­sta­tie­ren. Kein Weg führt dar­an vor­bei. Die­se Sicht ist ver­nünf­tig, auch wenn der Ver­stand sich ge­gen die­se Wahr­heit wehrt. So Man­che wol­len das nicht wahr­ha­ben, das Tier im Men­schen fürch­tend.

Ob die­ses Tier ein Wolf oder ein Lamm ist, ein Wal oder Hai­fisch, ein Or­ka oder Wal­hai, das liegt in der Macht des Men­schen. Und kein Mensch ist sei­nem Tier aus­ge­lie­fert, prin­zi­pi­ell. Wir sind die Domp­teu­re un­se­res Tiers in uns. Da sind die Krie­ger: ge­züch­te­te Hai­fi­sche. Da sind die Kämp­fer: ge­züch­te­te Gnus. Und da sind eben die fried­li­chen und un­fried­li­chen: ge­züch­te­te Tie­re. Ab­ge­rich­tet.

Wer es nicht schafft, sei­nen „Wil­len zur Macht“ für sich selbst zu nut­zen, wird ein Skla­ven­le­ben füh­ren müs­sen. Ja? Nein! Sie kann ge­nau­so ein Her­ren­le­ben füh­ren. Doch die Macht über die Macht, die hat nicht, wer sich nicht dar­auf ver­steht, sei­nen „Wil­len zur Macht“ für sich nutz­bar zu ma­chen. Er wie sie wer­den ein Her­den­tier sein. Auch Leit­ham­mel und ‑lö­win­nen sind: Her­den­tie­re. Mag ei­ne Her­de auch als Ru­del da­her­kom­men.

Der ver­nünf­ti­ge Mensch sucht doch die Frei­heit, die Wahl. Die Ver­ant­wor­tung da­mit, auch. Das ist die Wirk­lich­keit des Men­schen, in eben die­ser Frei­heit zu ste­hen. Was heißt: zu su­chen braucht er sie nicht, er hat sie schon. Nur sie auch zu le­ben, das traut er sich noch nicht. In 10000 Jah­ren wird die Welt an­ders aus­se­hen.

Er miss­traut sei­ner Na­tur. Sieht sie als Dunk­les, Be­droh­li­ches, Un­be­herrsch­ba­res. Schafft Wahr­hei­ten, um das Dun­kel zu be­herr­schen. Und ist von sei­nem ei­ge­nen Licht ge­blen­det. Sieht nicht, ver­steht nicht, dass er nur sich selbst be­leuch­tet — doch er­klärt so die gan­ze Welt.

Das Mons­ter des Men­schen steckt doch in sei­ner Kul­tur­fä­hig­keit, die Kul­tur ist das Mons­ter, das er fürch­ten soll­te. Sei­ner Na­tur nach ist der Mensch ver­nünf­tig — und sei­ne Na­tur hat sich bis­her im­mer durch­ge­setzt. Noch ist die Mensch­heit nicht durch ei­ne Apo­ka­lyp­se von der Bild­flä­che des Uni­ver­sums ver­schwun­den. Doch Hoch­kul­tu­ren ver­schwin­den ir­gend­wann, da reicht ein ver­nünf­ti­ger Blick in die Ge­schich­te völ­lig aus.

Und die­se Kul­tur­fä­hig­keit — ge­hört zu sei­ner Na­tur. Sie ist das Tier, das es zu bän­di­gen gilt. Die Ver­nunft, die Na­tur des Men­schen, ist Herr über den Ver­stand, die Kul­tur des Men­schen. Der Ver­stand ist ein Knecht, kein Herr. Und im Grun­de ist der Mensch: Chao­tisch. Ver­nünf­tig. Doch das schmeckt sei­nem Ver­stand nicht, der das Cha­os fürch­tet. Weil es ihn des­ori­en­tiert, wenn er kei­ne Re­gel ent­de­cken kann, nichts vor­her­sa­gen kann. Der Mensch fürch­tet sich, wenn er nicht wis­sen kann, was ihn er­war­tet. Zu­min­dest ver­un­si­chert es ihn, wes­halb ihm der Ver­stand mit auf den Weg ge­ge­ben wur­de. Oder, dar­wi­nis­ti­scher for­mu­liert: Sich evo­lu­tiert hat. Da­mit er sich nicht so fürch­tet.

Der Ver­stand des Men­schen (zer)stört das Kli­ma, der Ver­stand des Men­schen be­grün­det ei­nen Ge­no­zid, der Ver­stand des Men­schen lässt ihn Krie­ge füh­ren — al­les im Na­men der Wahr­heit.

Die Kunst ist kein Pro­dukt der Kul­tur des Men­schen, sei­nes Ver­stan­des — es ist ein Ge­wächs sei­ner Na­tur, des Tie­res in ihm, sei­ner Ver­nunft. Es ist die Kunst, die den Men­schen aus den Mi­se­ren, die er mit sei­ner Kul­tur selbst ge­schaf­fen hat, ret­tet.

»Der Mensch ist dem Men­schen ein Wolf« mein­te Hob­bes. Nietz­sche könn­te, viel­leicht, sa­gen: Der Mensch ist dem Men­schen (s)eine Kul­tur.

Phi­lo­so­phie soll­te Kunst sein, nicht Wis­sen­schaft. Ver­nunft, nicht Ver­stand. Na­tur, nicht Kul­tur. Der Mensch ist ein na­tür­lich phi­lo­so­phi­sches We­sen und nur kul­tür­lich ein wis­sen­schaft­li­ches.

Bis hier­hin al­les schön schwarz-weiß, dem Ver­stan­de leicht ver­dau­lich. Las­sen wir nun Ver­nunft wal­ten, be­ge­ben wir uns al­so jen­seits von wahr oder falsch, Dis­junk­ti­on und Kon­junk­ti­on. Be­tre­ten wir das Reich der Ver­nunft. Den Ver­stand, das Drän­gen nach Er­kennt­nis, nach Wahr­heit, wahr sein, hin­ter uns las­send, die Ein­sicht vor uns. Wen­den wir uns dem Cha­os zu. Se­hen wir nach vor­ne.

Der ver­nünf­ti­ge Mensch ist ganz Na­tur. Ker­nig, erd­ver­bun­den, un­auf­ge­regt. Be­schei­den. Hät­te der Mensch kei­ne Kul­tur, die­ser Pla­net wä­re der fried­lichs­te Ort mit der bes­ten Luft und den güns­tigs­ten Ha­bi­tat­be­din­gun­gen für den Men­schen, die sich nur den­ken las­sen. Ein: Pa­ra­dies.

Wenn da nicht die Mü­hen der Jagd wä­ren. Und der be­eng­te Raum. Und die Neu­gier, die Gier über­haupt. Und dann die­ser Win­ter. Und der Som­mer erst, je nach Ge­gend. Nein, die­ses Ha­bi­tat er­scheint dem Ver­stand, dem Be­quem­lich­keit su­chen­den Hirn, des En­er­gie­spa­rens we­gen, gar nicht so ge­müt­lich. Das Ha­bi­tat will kul­ti­viert sein, wohn­lich hat es zu sein!

Da ist’s dann auch schon wie­der vor­bei mit der Ver­nunft, der gie­ri­ge Schlund der Kul­tur öff­net sich und ver­leibt sich das Ha­bi­tat ein. Die Ver­nunft für sich al­lein scheint al­so nicht be­son­ders stark zu sein.

Um nun al­so als Men­schen uns selbst das Was­ser nicht ab­zu­gra­ben vor lau­ter Kul­tur­drang und Na­tur­ver­ach­tung, bleibt wohl doch nur die Flucht nach vor­ne: sich jen­seits von gut & bö­se, wahr und falsch, Cha­os und Kos­mos, Ver­nunft und Ver­stand zu be­ge­ben. Ein Land, das wir uns gar nicht vor­stel­len kön­nen. Und das es viel­leicht – des­halb? – nicht gibt.

Und doch gibt es ei­nen Ort jen­seits von: Das Zwi­schen. Das Zwi­schen von Na­tur und Kul­tur. Das Zwi­schen von Ver­nunft und Ver­stand. Da, wo der Mensch noch Mensch sein darf: Na­tur mit Kul­tur, Kul­tur mit Na­tur. Ver­nunft mit Ver­stand, Ver­stand mit Ver­nunft. Cha­os mit Kos­mos, Kos­mos mit Cha­os. Ein un­mög­li­cher Ort, ei­ne Uto­pie, weil in sich wi­der­sprüch­lich? Nein! Die­se Er­kennt­nis der Wi­der­sprüch­lich­keit ist ein Wi­der­spruch des Ver­stan­des, wie der ver­nünf­ti­ge Mensch so­fort ein­se­hen kann. In die­sem „mit“ liegt der Schlüs­sel zur Glück­se­lig­keit. Es ver­mit­telt die Ge­gen­sät­ze ver­nünf­tig, die der Ver­stand ge­schaf­fen hat.

Cha­os hat auch die Be­deu­tung je­ner Dunst­schicht zwi­schen Him­mel und Meer. Ur­sprung der bei­den, so zu­min­dest dach­ten sich das wohl man­che in der An­ti­ke in Grie­chen­land. Und so kön­nen wir auch den Men­schen in eben die­sem Cha­os, in die­ser Un­be­stimmt­heit, Un­be­stimm­bar­keit, in die­ser Gren­ze, die nur als Über­gang, als An­gren­zung und nicht Ab­gren­zung in den Blick kommt, ver­or­ten. So an­ge­se­hen, kann der Mensch als Schöp­fer von oben und un­ten, von Him­mel und Meer, von Apoll und Dio­ny­sos, auf­ge­fasst wer­den — sich selbst je­doch nicht er­rei­chend, im Cha­os ver­schwin­dend. Ein sol­ches An­se­hen des Men­schen durch den Men­schen selbst kann nun – viel­leicht – eben als ein Akt des ver­nünf­ti­gen Ver­stan­des, der ver­stän­di­gen Ver­nunft in­ter­pre­tiert wer­den. Es ist Ein­sicht wie Er­kennt­nis: er­ken­nen­de Ein­sicht, ein­sich­ti­ge Er­kennt­nis.

Der Mensch: Ein Zwi­schen. Ein In­ter-es­se, ein „da, zwi­schen“, „in Mit­ten“ sein.

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Und die Moral von der Geschicht’ …

Nietzsches »Jenseits von Gut und Böse«, nur anders.

Das „Jen­seits von“ die­ser Be­trach­tung ist das Jen­seits von My­thos und Lo­gos und will nun über­haupt kei­ne Theo­lo­gie als Gram­ma­tik ver­ste­hen (Wittgenstein/Luther) oder an­de­re Tricks ein­set­zen, um über et­was zu re­den, wo­von not­wen­di­ger­wei­se nur ge­schwie­gen wer­den kann. Dies Jen­seits ist ge­fasst in Sprach­lo­sig­keit, über die ge­spro­chen wer­den soll, auch wenn sie eben nicht di­rekt aus­ge­spro­chen wer­den kann. Denn in die­ser Sprach­lo­sig­keit ver­schwin­det der Mensch ja nicht. Er bleibt ja da — nun eben als Natur‑, nicht als Kul­tur­we­sen. Sei­ne Le­bens­welt mag da sei­ne Gren­ze fin­den, sei­ne na­tür­li­che Welt­lich- und Wirk­lich­keit nicht.

Und was ist er nun als sol­ches Na­tur­we­sen? Ei­ne „blon­de Bes­tie“ wie ihn Nietz­sche ter­mi­nier­te? Oder doch letzt­lich ein Geist­we­sen, wie es Esoteriker/innen wohl an­denken? Oder ein geist­li­ches, ver­geis­tig­tes We­sen, wie sie in Kir­chen durch­aus an­zu­tref­fen sind?

‚Geist‘ sei hier als zur Na­tur des Men­schen ge­hö­rend und ihn zur Kul­tur be­fä­hi­gend ge­dacht. Doch die­ser ‚Geist‘ scheint we­der Gott noch Wil­le, noch sons­ti­ger jen­sei­ti­ger, ‚hö­he­rer‘, über­sinn­li­cher Art und Wei­se zu sein; noch scheint er ra­tio­nal be­greif­bar, noch ver­nünf­tig er­fass­bar zu sein. Er ist ein­fach ‚da‘. Es ist wirk­lich: „da sein“ (Heid­eg­ger). Er ist Teil un­se­rer Na­tur, ent­steht in un­se­rem Kör­per, der dann eben als ‚be­seelt‘ er­scheint, un­se­rer Selbst­wahr­neh­mung wie der Wahr­neh­mung an­de­rer nach. Und so man­che glau­ben dar­an, dies kä­me eben von ei­nem wie auch im­mer ge­ar­te­ten ‚Oben‘. Doch wir kön­nen den ‚Geist‘ nicht fas­sen – wie das Geis­ter ja so an sich ha­ben sol­len –, we­der be­griff­lich noch emp­fin­dend und er wird wohl auch nicht di­rekt ver­mess­bar sein. An der Kul­tur be­mer­ken wir ihn, da ma­ni­fes­tiert er sich, wird ‚sicht­bar‘, doch eben nur als Epi­phä­no­men, nicht als Phä­no­men an sich. Der ‚Geist‘ an sich ist für uns nicht er­reich­bar (Kant). Viel­leicht, weil er eben stets ‚im Be­griff ist zu sein‘ und so kein po­si­ti­ves Sein hat, al­so: im­ma­te­ri­ell bleibt. Ne­ga­tiv.

Und ich blei­be da­bei: die­ser ‚Geist‘ hat kei­nen Wil­len; ist rei­nes Me­di­um, pu­rer Ver­mitt­ler. Ver­mit­telt zwi­schen bio­lo­gi­schem Kör­per und na­tür­li­cher Welt, i.F. „Na­tur­welt“, zwi­schen Den­ken und Han­deln, Vor­stel­len und Wil­le (Scho­pen­hau­er). Und (v)erschafft als ‚Zwi­schen‘ Le­bens­welt.

Und man­che, weil sie Nicht-wis­sen-kön­nen nicht er­tra­gen kön­nen, ge­ben die­sem ‚Geist‘ ei­ne Ge­stalt: Gott. Na­tur. Kul­tur. Und ei­nen Wil­len, ein Ge­setz, ein letzt­end­li­ches Ziel be­kommt die­se Ge­stalt gleich mit. Und all dies sind je­doch eben nur ‚Hen­kel‘ (Fi­gal), mit de­nen sich un­ser Rech­nen der Welt hab­haft macht. Stel­len wir die­ses Rech­nen ein, be­schrän­ken uns völ­lig auf das Den­ken, al­so das Ver­neh­men des­sen, was ist, ver­schwin­det die Le­bens­welt zur Gän­ze. Da(s) ist die Na­tur des Men­schen: Reg- und ta­ten­los, al­so wil­len­los, ab­sichts­los, sitzt er da, ‚im Be­griff zu sein‘, al­so: im Wer­den. Wenn er nichts tut, wird er so ster­ben. Das ist, wie Nietz­sches „Wil­le zur Macht“ ‚ge­le­sen‘ wer­den kann — al­so Sinn ‚zwi­schen den Zei­len‘ her­aus­ge­pickt wie einst die Bee­ren im Wein­berg: der Mensch muss et­was tun, um zu über­le­ben. Er kann die­ses Tun un­ter­las­sen, doch dann stirbt er. Der Mensch muss et­was tun, ma­chen, mäch­tig, tä­tig sein, um zu über­le­ben. Von al­lein geht da gar nichts. An­ders eben als beim Tier, wel­ches über ei­nen sol­chen brem­sen­den, will mei­nen: wer­den­den ‚Geist‘, nicht ver­fügt. Für sich im­mer schon ist, und oh­ne sel­bi­gen eben weit­aus un­an­ge­streng­ter über­le­ben und sich fort­pflan­zen kann. Man könn­te fast mei­nen, der Mensch hat sich als Tier, wel­ches er ein­mal war, als völ­lig un­ge­eig­net er­wie­sen. Bis ‚Geist‘ in ihm ent­stand. Oh­ne je­nen wä­ren wir ver­schwun­den wie die Di­no­sau­ri­er.

Ist der Mensch al­so nur ein Män­gel­we­sen (Geh­len), so be­trach­tet? Eher nicht, son­dern viel­mehr im Ge­gen­teil: Er ist mit ‚Geist‘ über­füllt. Die­ser ‚Geist‘, Aus­brem­ser des Le­bens, weil er den Men­schen im ‚im Be­griff sein‘ fest­hält. So ge­se­hen hält der ‚Geist‘ den Men­schen fest: ein fest­ge­stell­tes, an­ge­na­gel­tes Tier.

Und es ist eben der Wil­le, für uns ver­nehm­bar als Wol­len, der den Men­schen aus der Un­tä­tig­keit holt und ihn Klei­der ma­chen lässt, Fleisch ja­gen und ko­chen lässt, Hüt­ten bau­en lässt, etc. pp., ihn der Fest­stel­lung ent­hebt. Der Wil­le, z. B. als Hun­ger ver­nom­men, und das Wol­len, wel­ches ihn die nächs­te Pom­mes-Bu­de an­steu­ern lässt. Ge­nau­er: mit­tels des­sen er die­se an­steu­ert, Wahl ist Wahl, da beißt die Maus kei­nen Fa­den ab. Der Wil­le, me­ta­pho­risch, viel­leicht bud­dhis­tisch, ge­spro­chen: der Durst, ist es, der den Men­schen aus sei­nem ‚im Be­griff sein‘ her­aus­holt, ihn in Be­we­gung setzt, aus sei­ner Un­tä­tig­keit, Un­mäch­tig­keit, zu dem ihn die­ser ver­ma­le­dei­te ‚Geist‘ mit sei­nem ‚im Be­griff sein‘ ver­don­nert. Der Mensch muss sich ge­gen sei­nen ‚Geist‘ durch­set­zen, will er über­le­ben. Er braucht den Durst, sein ‚Geist‘ kä­me nie auf die Idee, et­was zu trin­ken. Wo­zu auch? Er ist ja „eh da“.

Und die­ser Durst ist eben ei­ne An­ge­le­gen­heit des Kör­pers, nichts nicht-Kör­per­li­ches, ‚Geis­ti­ges‘. Der ‚Geist‘ ist die Brem­se des Mo­tors, der Ant­ago­nist des Wil­lens. Und oh­ne die­se Brem­se, ein „geist­lo­ser Mensch“ al­so, wä­re ein Mensch, der sich selbst ver­zeh­ren wür­de, in un­er­sätt­li­cher Gier. Al­lein der ‚Geist‘ mit sei­ner Ma­ni­fes­ta­ti­on des Den­kens, des Ver­nünf­tig seins, des Ge­wahr wer­den kön­nens was ist, hält ihn da­von ab, die Er­de, sein Ha­bi­tat, bis zum letz­ten Trop­fen aus­zu­trin­ken, aus­zu­beu­ten — zu zer­stö­ren.

Mo­ment! Da stimmt doch was nicht! Mensch macht doch ge­nau das! Zu­min­dest ist er, Kli­ma­wan­del nur als ein Bei­spiel, auf dem bes­ten We­ge das Tier in ihm mehr und mehr zu ent­fes­seln, zu be­frei­en, zu ent­fal­ten – das Tier, es ist noch nicht fest­ge­stellt, der Hund noch nicht an der Lei­ne. Er ent­geis­tet sich, sein Wil­le bricht sich in un­ge­zü­gel­tem Wol­len Bahn. Die Ver­nunft ver­sagt, das gie­ri­ge Tier bricht her­vor, wie ein Leit­wolf stürzt es sich auf sein Lamm um es zu ver­til­gen, vom Hun­ger – Neu­ge­bo­re­ne ha­ben Hun­ger, der ge­stillt sein will, nicht Durst, der zu lö­schen wä­re – ge­trie­ben.

Ei­ne Ma­ni­fes­ta­ti­on die­ses Wol­lens ist der Ver­stand. Im­mer aus­ge­klü­gel­te­re Tech­ni­ken ver­schafft sich der Mensch mit ihm, um die Er­de, ach was: das Uni­ver­sum! sich Un­ter­tan zu ma­chen, um Herr zu sein in der Na­tur­welt — wenn sei­ne Le­bens­welt schon auf’s Sprach­li­che be­grenzt ist. Und da wird dann eben nicht mehr nach ir­gend­wel­cher Mo­ral ge­fragt, son­dern al­lein der Nut­zen ist der Maß­stab. Da steht er dann, im Jen­seits von Gut und Bö­se. Meint er. Tat­säch­lich: Mit­ten­drin.

Will Mensch zu sei­ner Na­tur fin­den, kann er mehr ‚Geist‘ wa­gen. Nicht in Form dog­ma­ti­scher Kir­chen oder ent­fes­sel­ter Kunst noch sons­ti­ger kon­stru­ier­ter Ethi­ken und Äs­the­ti­ken, die ja letzt­lich auch nur Tech­ni­ken sind. Nein, in die­sem stil­len, oh­ne Ab­sicht sei­en­dem Da­sit­zen, Da­sein, ‚im Be­griff sein‘, die­sem … mo­ra­lisch sein, in­dem er sich so au­ßer­halb der Ethik von Gut und Bö­se hin­stellt, sich au­ßer­halb des Wi­der­spruchs be­gibt, da(s) ist sei­ne na­tür­li­che Kor­rek­tur — es braucht kei­nen Gott mehr, der kann tot sein. Der ent­fes­sel­te Ver­stand hin­ge­gen ge­hört nicht zu sei­ner Na­tur, er ist ein kul­tu­rel­les Gut. Die Evo­lu­ti­on hat ei­nen ver­nünf­ti­gen Men­schen her­vor­ge­bracht — doch er miss­ver­steht sich als ver­stän­di­ges We­sen. Und da er sich mit­tels des Ver­stan­des mit den Re­geln der Ra­tio­na­li­tät, des Nut­zens, des Ra­tio­nel­len im­mer wie­der auf’s Neue vor sich selbst recht­fer­ti­gen kann, wird sein „Wil­le zur Macht“ schließ­lich das Uni­ver­sum be­sie­gen. Und die Lo­gik gibt ihm Recht. Und reicht die nicht, ist’s die Gram­ma­tik, die ihn da­zu be­fä­higt. Passt auch das nicht, wird’s eben ei­ne Theo­lo­gie oder das rei­ne Glau­ben. Gott­ge­ge­ben, zu Recht ver­fer­tigt.

Ob zu sei­nem Wohl, bleibt frei­lich da­hin­ge­stellt. Denn es ist leicht sich vor­zu­stel­len, wo­hin die­ser Sie­ges­wil­le – der aus nichts an­de­rem ge­bo­ren wird als aus der pu­ren Furcht vor dem nicht­tä­ti­gen, un­mäch­ti­gen Da­sein, weil dies für ihn den Tod be­deu­te­te – ra­di­kal zu En­de ge­dacht, füh­ren wird: Zur Selbst­be­herr­schung. Doch die­se ist dann eben ei­ne Selbst­ver­nich­tung.

„So ist die Na­tur des Men­schen, er ist sich selbst ein Wolf, Ho­mo ho­mi­ni lu­pus!“ (Hob­bes).

Nein. So ist sei­ne Kul­tur. Das ver­wirk­lich­te Mär­chen vom bö­sen Wolf und den sie­ben Gei­ße­lein. Oder je­nes vom Rot­käpp­chen und dem bö­sen Wolf. Nur den Jä­ger (w/d/m), der den Men­schen aus dem Bauch sei­nes Wolf­s­eins be­freit, den gibt es nicht. Das müss­te ja ein ‚Über­mensch‘ sein, von ‚Oben‘ kom­men. Und so wird die­ses rea­li­sier­te Mär­chen dann kein gu­tes En­de fin­den. Im Ge­gen­satz zu dem, wel­ches er er­fun­den hat. Iro­nie des Schick­sals.

Au­ßer (je)der Mensch ent­deckt in sich den Jä­ger. Sei­nen ‚Geist‘.

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Denkzettel 49

Re­li­gi­on heißt (oder: will mei­nen): das nicht wis­sen Kön­nen. Oder: Das nicht-Wis­sen kön­nen.

Phi­lo­so­phie heißt (oder: will mei­nen oder gar, wo­mög­lich, wis­sen): das nicht wis­sen Kön­nen üben.

Eben ein/e Freund/in der Weis­heit zu sein und nicht ihr/e Herr/in.

Oder sich ein­fach nur an ihr zu er­freu­en. (An der Weis­heit, frei­lich.)