Denkzettel 108

Wah­re, wirk­li­che In­di­vi­du­en ge­lan­gen ob frü­her oder spä­ter an den Punkt, an und mit dem sie ih­re Un­voll­kom­men­heit zu spü­ren be­kom­men. Dann wer­den sie nicht aus ge­setz­ten mo­ra­li­schen Grün­den, son­dern aus Not­wen­dig­keit so­zi­al, in wel­cher Form auch im­mer. Die­se For­men kön­nen ka­pi­ta­lis­tisch, so­zia­lis­tisch, li­be­ral, kom­mu­nis­tisch, na­tio­nal, dik­ta­to­risch, de­mo­kra­tisch,… sein, auf Zwei­sam­keit und Mehr­sam­keit, auf Ge­mein­sinn oder Ge­mein­schaft ba­sie­rend sein oder in wel­chen For­men sonst noch sich ar­ti­ku­lie­ren, for­ma­tie­ren, in de­nen selbst­be­stimm­te Fremd­be­stimmt­heit ge­lebt wer­den kann.

Fremd­be­stimm­te Selbst­be­stimmt­heit ist ein Ge­gen­teil von In­di­vi­du­um: das Di­vi­du­um.
(Men­schen sind von Ge­burt an In­di­vi­du­en.)

Denkzettel 113

Über Le­bens­art lässt sich pri­ma fa­bu­lie­ren, nar­ra­ti­vie­ren oder auch de­li­be­rie­ren. Doch es kann kein Ge­gen­stand sein, der ver­wis­sen­schaft­licht wer­den kann. Des­halb kann Le­bens­kunst kein Ge­gen­stand wis­sen­schaft­li­cher Phi­lo­so­phie sein. Un­wis­sen­schaft­li­che, un­ver­wis­sen­schaft­li­che Phi­lo­so­phie — ist denn das nicht ein le­bens­ar­ti­ges De­li­be­rie­ren, Nar­ra­ti­vie­ren oder auch Fa­bu­lie­ren?

Denkzettel 106

Mit ei­ner Er­war­tung ist die Schuld schon in die Welt ge­bracht, mit­hin: ei­ne Mo­ral — Er­war­tun­gen schaf­fen Wer­te. („Prin­zip Hoff­nung“: die Welt der Gläubige{n|r}.)

Wird die Schuld be­gli­chen, ist die Rech­nung be­rei­nigt, der Schuld ge­recht ge­wor­den, ge­nü­ge ge­tan. Mit der Be­glei­chung ei­ner Schuld ent­steht Ge­rech­tig­keit. Gleich­heit.

Ei­ne Welt oh­ne Er­war­tun­gen wä­re ei­ne un­schul­di­ge Welt. Ei­ne ‚wert­lo­se‘ Welt. Ei­ne wert­freie. Viel­leicht dann ei­ne Welt vol­ler Ach­tung für die ‚Wert­lo­sig­keit‘, für die Frei­heit der Wer­te? (Statt de­ren Ein­ker­ke­rung in ei­nen Schuld­turm.)

Ei­ne Welt der: Ach­tungs­mo­ral? Ei­ne Welt der an­er­kann­ten und an­er­ken­nen­den, un­glei­chen Selbst­zwe­cke — und nicht ei­ne der durch Schuld und de­ren Be­glei­chung ge­schaf­fe­nen blo­ßen Mit­tel?